Einmal Hochzeit und zurück
er meinte damit die Hochzeit. Doch dann fiel mir wieder ein, dass er mich bei der Hochzeit nicht gesehen haben konnte, weil die noch gar nicht stattgefunden hatte.
»Weil wir uns nie wiedergesehen haben!«, rief ich. Das war mir gerade aufgegangen.
»Ahm ...«
»Als Erwachsene, meine ich. Ich gehe in meinen Gedanken immer davon aus, dass wir uns als Erwachsene noch mal wieder begegnet sind und du gewisse Dinge über mich weißt, und deshalb auch weißt... und deshalb auch ganz klar sehen kannst, was für ein Mensch ich wirklich bin. Aber das stimmt gar nicht.«
»Jetzt bin ich verwirrt.«
»Wir begegnen uns bei der Hochzeit. Als Erwachsene.«
»Okay ...«
»Du denkst wahrscheinlich, ich bin ein kleines Mädchen, das nie erwachsen geworden ist und auf der Suche nach dir durch die Straßen irrt.«
Er wirkte peinlich berührt.
»Du hältst mich für den personifizierten Entwicklungsstillstand.«
»Der Gedanke ist mir durchaus schon mal durch den Kopf gegangen.«
»Aber das bin ich nicht, weißt du! Ich bin eine richtige erwachsene Frau! Ich habe eine eigene Wohnung und ein eigenes Leben - ein gutes Leben, aber jetzt, weißt du, jetzt, du hast ja keine Ahnung, wie das für mich ist«, sprudelte es aus mir heraus. »Es ist, als stünde ich jeden Tag auf der Bühne.
Jeder neue Tag ist eine neue Prüfung, und ich weiß nie, ob ich sie bestehen werde oder nicht. Ich spiele die ganze Zeit eine Rolle. Kaum einer hat auch nur die geringste Ahnung, wer ich wirklich bin.« Plötzlich war mir, als müsste ich gleich heulen. »Ich bin die Einzige in meiner Klasse, die sich noch an Britpop erinnert. Ich bin die Einzige, die je mit Francs oder Lire bezahlt hat oder weiß, wie das Leben ohne Fernbedienung ist oder ohne Handys oder E-Mail oder Sat-Navi.«
»Oder was?«
»Ich weiß es nicht! Ich weiß ja nicht mal, was das ist, aber die reden dauernd darüber!«
Clelland riss ein Stückchen Papier von der Küchenrolle und reichte es mir. Ich bedankte mich und erzählte weiter.
»Ich bin die Einzige, die weiß, wie man einen Stecker austauscht oder eine Tischreservierung im Restaurant macht. Ich bin die Einzige, die ... ich bin die Einzige, die schon mal ein gebrochenes Herz hatte. Weißt du ...« Inzwischen schluchzte ich schon, so richtig schmerzhafte Schluchzer, die von ganz tief drinnen kommen. »Unsere Geschichtslehrerin hat über den 11. September geredet. Und sie hat gefragt, ob einer von uns schon mal im World Trade Center gewesen ist. Und keiner war da gewesen, weil sie alle erst 14 waren und sich nicht mal mehr richtig daran erinnern können. Bloß ich bin da gewesen. Ich hatte ein Bild von mir auf einem der Türme, und jetzt hat es das nie gegeben. Und ich konnte nicht mal erzählen, wie sehr ich es gemocht habe und wie wir alle geweint haben. Und ich bin so furchtbar einsam.«
Clelland rieb mir den Rücken. »Pst«, flüsterte er.
»Ich bin kein kleines Mädchen«, schluchzte ich. »Bin ich nicht.«
»Nein«, sagte er.
»Ich bin gefangen zwischen zwei Welten. Und ich habe ein bisschen Trost gesucht. Und es tut mir Leid.«
»Ich weiß.« Sein Mund war sehr nahe an meinem Ohr. »Es tut mir Leid, was ich gesagt habe.«
Ich machte ein halb ersticktes Geräusch.
»Du bist nicht die Einzige, die ziemlich lange gebraucht hat, um darüber hinwegzukommen, okay?«
Plötzlich gab es eine spürbare Veränderung im Raum. Justin stand in der Tür, in Strümpfen, mit einer Flasche Cola in der Hand. Verblüfft sah er uns an.
»Was ist denn hier los?«
Clelland zeigte keinerlei Reaktion. Er blickte mich bloß weiter unverwandt an.
»Bald wirst du also wieder erwachsen, stimmt‘s?«, sagte er mit sanfter Stimme. »Ich bin mir sicher, alles wird gut ausgehen. Jetzt, wo wir das geklärt haben.«
Ich schluckte schwer. »Ja«, wisperte ich. »Ja.«
Er guckte auf seine Uhr. »Okay. Ich komme zu spät zu meiner Verabredung mit Madeleine. Ich ...« Es schien, als wolle er noch etwas darüber sagen, doch das tat er nicht. »Okay, tja, ähm, soll ich Tashy und Olly sagen, dass du dich entschieden hast?«
»Zurückzugehen? Ich habe wohl keine andere Wahl«, brummte ich. »Ich ertrage das nicht.«
Er stand auf und warf Justin und mir einen vielsagenden Blick zu. »Benehmt euch, ihr beiden.« Dann ging er.
Justin wirkte total baff. »Macht er dir immer noch das Leben schwer?«, fragte er.
Ich nickte. »Aber er ist schon ganz okay.«
»Er kann ein richtiger Saftsack sein, mein lieber Bruder.« Er bot mir einen Schluck von
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