Einmal Hochzeit und zurück
gerade zu ihr.
Ich rief mir ins Gedächtnis, was ich über derartige Situationen bei EastEnders gelernt hatte, und platzte unvermittelt zur Tür herein.
Mein Vater guckte wie eine Kuh, wenn‘s donnert, fast als hätte er gerade einen Oscar gewonnen oder so was in der Art.
»Flora Jane!«
»Ja, ganz recht. Ich bin‘s. Deine Tochter.« Ich guckte die Frau an. »Hi.«
Aber so, wie sie mich ansah, war ich mir sicher, dass sie bereits ganz genau wusste, wer ich war. Sie wurde knallrot und starrte betreten zu Boden.
»Ahm, Flora, was machst du denn hier?«, fragte mein Dad und räusperte sich. Er hoffte anscheinend, die ganze Sache als harmlose, samstägliche Geschäftsbesprechung abtun zu können. Vielleicht glaubte er ja, ich sei kurzsichtig.
Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn ich gesagt hätte: »Mum hat gestern vergessen dir zu sagen, dass du noch Bananen einkaufen sollst, und ich wusste nicht, dass du noch arbeitest.« Er wollte so sehr, dass ich das sage.
»Das kannst du nicht machen«, rief ich mit dem Mut der Verzweiflung. »Das kannst du Mum nicht antun. Und mir auch nicht. Das kannst du einfach nicht. Du machst alles kaputt. Kapierst du das denn nicht?«
»Aber ich -«
»Ich meine, nach allem, was Mum für dich getan hat... für dieses, dieses ...«
Eigentlich hatte ich Flittchen sagen wollen, oder welches andere treffende Wort mir für diese Frau auch eingefallen wäre, die meine Mutter zu einem Leben als klammernde Klette verdammte, hoffnungslos unglücklich und entsetzlich einsam, mit tagtäglichen Angstattacken, und ihre Tochter gleich mit, die wie ein Fähnchen im Winde war, unfähig, sich zu entscheiden, sich zu binden und glücklich zu sein und jemand anderen glücklich zu machen.
Doch als ich sie dann ansah und in ihr auffällig geschminktes Gesicht blickte, da sah ich bloß eine unglückliche Frau. Deren Zug längst abgefahren war und die sich dessen nur allzu bewusst war. Die (wie ich später noch erfahren sollte) mit einem grässlichen Kerl verheiratet gewesen und nun geschieden und allein stehend war, die wusste, dass ihre biologische Uhr unaufhaltsam tickte und ihre Schönheit langsam verwelkte. Konnte man es ihr verübeln, dass sie ihre letzte Chance ergreifen wollte? Ihre nette, gutmütige, grundanständige letzte Chance, und zum Teufel mit den Konsequenzen, denn schließlich war es ihr Leben, das einzige, das sie hatte, und sie konnte es einfach nicht ertragen, es ganz allein zu meistern, unbeachtet, unbegleitet und langsam verglühend wie ein unbewachtes Feuer. Aber uns hat er zuerst gehört.
»Dad«, bettelte ich. »Bitte.«
»Sieh mal, Flora, du musst mir glauben«, flehte mein Dad mit Panik in den Augen. »Ich bin bloß hier, weil ich mit ihr Schluss machen wollte.«
Stephanie wirkte völlig geschockt.
»Na, so ein Zufall«, erwiderte ich. Mein Herz hämmerte immer noch wie wild.
»Seit du angefangen hast ... ein bisschen verrückt zu spielen ... haben deine Mutter und ich sehr viel miteinander geredet, und mir ist klar geworden, dass du mich brauchst, dass ihr beide mich braucht. Mehr als alles andere.«
Ich sah ihm ins Gesicht. Er würgte die Worte hervor als spucke er Glasscherben aus.
»Es tut mir Leid, Flora«, sagte er zerknirscht.
Er verzog das Gesicht wie ein kleiner Junge. Wird denn keiner je richtig erwachsen?
»Ich mache dir keine Vorwürfe«, murmelte ich erstickt.
Aber als ich das sagte, wurde mir klar, dass ich ihm sehr wohl Vorwürfe machte. Ich hatte ihm immer Vorwürfe gemacht, viel länger schon, als ich hätte sollen. Ich hatte mir diesen einen Sommer herausgepickt und drum herum die Geschichte meines Lebens gesponnen. Weil mein Dad uns verlassen hatte, konnte ich keine Bindungen eingehen. Ich kam nicht über Clelland hinweg, weil ich ganz allein war. Ich konnte nicht das tun, was ich eigentlich tun wollte, weil ich mich um meine Mutter kümmern musste. Ich hatte die alltägliche Tragödie meiner Eltern genommen und mein persönliches Waterloo daraus gemacht. Meine Erklärung für alles, was schief gegangen war, der Grund für mein eigenes Unglück. Ein ganz normaler, durchschnittlicher, schwacher Mann, rein zufällig mein Dad, und ein einsames, durchschnittliches Mädchen, das einfach nur geliebt werden will, treffen in der schäbigen Kulisse eines Vorstadtbüros aufeinander, mit Dienstplänen und Terminkalendern an den rosa Pinnwänden, abgewetzten Teppichen und einer Luft, die nicht ganz so rauchfrei roch, wie sie hätte riechen sollen.
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