Einmal Hochzeit und zurück
Sandwich zu besorgen, aber ich hatte hier was Wichtigeres zu erledigen.
»Könnten Sie mich bitte mit Flora Scurrison verbinden?«, fragte ich. Sogar meine Stimme klang so lächerlich hoch und schrill.
»Mit wem?«, fragte er barsch. Diese Unfreundlichkeit war mir vorher auch schon aufgefallen. Zugegeben, ich sah ein bisschen abgerissen aus, aber er beäugte mich so, als wäre ich ein ärgerlicher Störenfried. War das damals, als ich sechzehn war, auch schon so gewesen? Ich wusste es nicht. Vielleicht war es mir nicht aufgefallen, weil ich damals zu sehr mit mir selbst beschäftigt war.
»S-C-U-R-R-I-S-O-N.«
Er schüttelte den Kopf. »Hier arbeitet niemand, der so heißt, Herzchen. Bist du dir sicher, dass du hier richtig bist?«
Irgendwie hatte ich ja schon damit gerechnet, aber trotzdem traf es mich wie ein Schlag ins Gesicht. Auf dem Weg hierher war ich mit meinen Kontodaten in eine Bank gegangen. Ergebnislos. Aber wenigstens meine größte Angst - mir selbst über den Weg zu laufen - schien sich nicht zu bewahrheiten, zumindest bisher nicht.
»Solltest du nicht in der Schule sein?«
Da fiel mir plötzlich wieder ein, dass Jimmy eine Tochter hatte, so ungefähr ... ähm, in meinem Alter.
»Wahrscheinlich schon«, sagte ich und wandte mich zum Gehen. »Grüßen Sie Jinty von mir.«
»Was? Bist du eine Freundin von ihr?«
Nein. Momentan hatte ich, soweit ich es überblicken konnte, buchstäblich keinen einzigen Freund auf der Welt. Ich hatte aufgehört zu existieren. Ich war niemand. Während alle anderen, Jinty eingeschlossen, unbeirrt ihr Leben weiterlebten.
Beim Hinausgehen wäre ich fast mit meinem Boss zusammengestoßen, Karl Dean, einem verbitterten, von üblem Mundgeruch geplagten Mann mit einer völlig engstirnigen Weltsicht, die zwar für einen Buchhalter sehr vorteilhaft war, aber ihm und allen, die sich ihm bis auf einen Meter näherten, das Leben zur Hölle machte. Ohne mit der Wimper zu zucken, sah er mich an. Nicht ein Schimmer des Erkennens blitzte in seinen Augen auf. Und er schaute mich auch nicht an, als erinnerte ich ihn an jemanden, den er kannte, von dem er aber augenblicklich nicht wusste, wo er ihn hinstecken sollte.
Neben ihm stand noch jemand, und das hätte ich sein können, aber ich war es nicht. Es war die Frau aus meiner Wohnung. Sie wirkte nervös und spielte an ihrer Brille herum.
»Soll heißen«, sagte er gerade, »Sie müssen dafür sorgen, dass alles stimmt. Sie sind dafür verantwortlich. Sie schaden damit nicht nur der Firma, Sie schaden auch sich selbst. Sie haben noch einen langen Berufsweg vor sich, und den wollen Sie doch erfolgreich beschreiten.«
»Ja, Sir«, sagte die Frau. Aber genau in dem Augenblick, als sie das sagte, trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde unsere Blicke, und ich merkte, dass sie nichts lieber wollte, als ihm zu widersprechen. Sie guckte mich an, und ich glaube, ganz kurz hat sie sich gewünscht, ein Teenager zu sein wie ich, der gelangweilt herumstromert und nichts zu tun hat. Wenn die wüsste.
Es wurde Mittag und noch später. Ich hatte schließlich doch noch eine Ein-Pfund-Note in meiner Jackentasche gefunden und war sehr dankbar, dass Teenager bei McDonald‘s nicht gerade ein seltener Anblick waren. Den ganzen Tag war ich ziellos durch London gelaufen, und ich konnte kaum noch denken. Ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte. Nach Hause wollte ich nicht. Ich wollte nicht aufgeben, mir nicht eingestehen müssen, dass ich in der Falle saß - und das auch noch mit Leuten, die ich nicht kannte, und in einer Zeit, die nicht meine war. Schwer seufzend fand ich mich schließlich unversehens auf dem Weg nach Waterloo, zu Tashys Büro.
Ich versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Es gab nur dieses eine Ich. Ich war ... ein bisschen anders. Aber es war durchaus möglich, dass auch Tashy nicht mehr da war.
Bisher war ich mit all meinen Problemen immer zu Tashy gegangen. Wir hatten zusammen gelacht und jede noch so unwichtige Geschichte, die einer von uns beiden jemals passiert war, miteinander besprochen, und das, solange ich zurückdenken kann. Und Tashy hatte es jedes Mal geschafft, dass ich mich hinterher besser fühlte. Ich war ein Einzelkind, und Heather war eine Hexe, und die Schule war auch kein Zuckerschlecken, also waren wir beide uns näher als Schwestern.
Ich blieb draußen vor dem riesigen Büro stehen und hatte entsetzliche Angst, es könne sie in dieser fremden neuen Welt vielleicht nicht geben, und ich
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