Einmal Hochzeit und zurück
Falten mehr.
Also gut. Ich versuchte mir einen Reim darauf zu machen, und das mit einem Gehirn, das mit dem Äquivalent von sechs durchzechten Nächten und einem LSD-Trip zu kämpfen hatte. Meine Eltern waren jünger. Und noch zusammen. Aber Darius sah älter aus als ich.
Ich wollte nicht total Dr. Who- mäßig rüberkommen, doch, unglaublich, aber wahr, ich musste jemanden fragen, welches Jahr wir hatten.
Um das Unvermeidliche noch ein bisschen aufzuschieben und meine hektische Atmung zu beruhigen, versuchte ich, mich auf Klamotten zu konzentrieren. Wie alt war ich? Meinen Brüsten zufolge nicht viel jünger als fünfzehn. O Gott.
Vorsichtig machte ich meine Schranktür auf. Ja, da war sie, als sei sie nie weg gewesen. Mein flaschengrüner Rock. Das blassgrüne Shirt. Die dicken Strumpfhosen. Tashy und ich hatten uns hoch und heilig geschworen, diese verfluchte Schuluniform nie wieder anzuziehen. Aber was blieb mir jetzt anderes übrig?
Mein Dad, der sich über seine noch ganz dichten Koteletten strich. Die hatte ich schon völlig vergessen.
»Hallo, Herzchen«, sagte er. »Gut geschlafen?«
Ich war so starr vor Schreck, dass ich nichts sagen konnte, und kam zu dem Schluss, dass Schweigen am Frühstückstisch für Teenager nicht untypisch war. Schließlich brachte ich heraus: »Kann ich ... mal die Zeitung haben?«
»Schön, dass du endlich da bist«, sagte meine Mutter, aber mir sträubten sich plötzlich die Nackenhaare, weil sie sich über etwas freute, was ich machte.
»Ts«, murmelte ich abfällig.
»Was willst du denn mit der Zeitung?«, fragte mein Dad. »Wenn du willst, lese ich dir dein Horoskop vor. Ach, da ist es ja schon: Jungfrau. ›Sie kommen heute zu spät zur Schule und sind angezogen wie eine Vogelscheuchen Mann, das ist aber ziemlich genau getroffen, findest du nicht, Herzchen?«
Ich fummelte mit zitternden Händen an meiner stümperhaft gebundenen Krawatte herum.
»Nimm sie nicht auf den Arm«, wies meine Mutter ihn verärgert zurecht. »Und um Himmels willen, gib ihr die blöde Zeitung.«
»Schon gut, schon gut«, erwiderte mein Vater. »Hier.« Er reichte sie mir. »Zufrieden?«, sagte er zu meiner Mutter.
»Ich weiß es nicht. Wann kommst du heute Abend nach Hause?«
Geräuschvoll atmete er aus. »Tja, ich muss noch ein paar Sachen abliefern.«
Meine Mutter drehte sich wieder zum Wasserkessel um und murmelte etwas Unverständliches.
»Was hast du gesagt?«, fragte mein Dad.
Ich vergrub den Kopf in der Zeitung. O mein Gott. Ich hatte ganz vergessen, dass es so gewesen war.
»Wenn du was zu sagen hast, dann raus damit.«
Die dünnen Fußgelenke meiner Mutter bebten in ihren American Taw-Strumpfhosen und diesen grässlichen alten Hausschuhen, die ich, das könnte ich schwören, schon vor Jahren weggeworfen hatte.
4. September 2003, stand da. Definitiv. Absolut. Das einundzwanzigste Jahrhundert. Nicht die Achtziger. Ja, genau genommen ungefähr einen Monat vor dem gestrigen Tag und damit Tashys Hochzeit. WAS? Also - Augenblick mal. Mum und Dad hatten einen Zeitsprung nach hinten gemacht, aber denen schien es nicht das Geringste auszumachen?
Hatte ich im Koma gelegen? War der Rest meines Lebens bloß ein Traum gewesen? War ich in einer Irrenanstalt, und dies war einer meiner seltenen hellen Augenblicke? Hatte ich eine gepanschte Pille eingeworfen, und die letzten sechzehn Jahre meines Lebens waren bloß ein schlechter Trip gewesen? Moment mal, wie viele schlechte Trips gibt es, auf denen man regelmäßig zum Blutspenden geht und eine Payback-Karte bekommt?
»Ich muss los«, sagte ich unvermittelt.
»Du gehst tatsächlich zu Fuß, Herzchen?«, fragte mein Dad und holte sich die Zeitung zurück. »Wunder gibt es immer wieder. Vielleicht kommt sogar mal ein bisschen frische Luft an deine Bäckchen.« Ich starrte ihn ungläubig an, stürmte zur Haustür hinaus und zog sie hinter mir zu.
Draußen blieb ich stehen und kramte in meiner Schultasche.
Im wahren Leben, wo auch immer das sein mochte, ist mein Handy zierlich, silbern und ziemlich elegant. Dieses Ding dagegen war rosa, flauschig und mit Leopardenfell verziert. Auf dem Display prangte das grob gepixelte Bild eines Dachses.
So ein Müll.
Fünfzehn SMS warteten auf mich, und ich verstand keine einzige.
»Akla? Lak.«
Was sollte das denn bedeuten?
Ich scrollte mich auf der Suche nach Tashys Nummer durchs Telefonbuch. Ich musste unbedingt mit ihr reden. Die Nummer war nicht da.
Den ganzen Weg zur Bahn konnte ich keinen
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