Einmal Hochzeit und zurück
klaren Gedanken fassen. Und - o Gott - an die Schule konnte ich erst recht nicht denken. Ich wollte bloß nach Hause, schlafen, richtig aufwachen und nie wieder Drogen nehmen.
Meine Wohnung habe ich vor sechs Jahren gekauft, kurz bevor der Immobilienmarkt anfing, total verrückt zu spielen, auch wenn ich damals keinen Gedanken daran verschwendet habe: Ich dachte damals, ich würde total verrückt spielen.
Obwohl ich inzwischen die meiste Zeit bei Olly in Battersea verbrachte, war ich noch nicht dazu gekommen, die Bude zu verkaufen. (»Völlig sinnlos. Hast du denn gar keinen Schimmer von Investitionen?«, erinnere ich mich mal von Olly gehört zu haben.) Das kam mir gerade recht: So hatte ich immer ein Plätzchen, an das ich mich zurückziehen konnte, wenn ich ungestört sein wollte. Es war ein winziges Studio, und die Wand zwischen Küche und Badezimmer war reine Dekoration, aber es war im schönen Nordlondon, und ich liebte es. Ich liebte es, das Apartment in verschiedenen experimentellen Farben zu streichen, um herauszufinden, ob eine von denen es größer wirken ließ. Ich liebte es, beim Zeitunglesen der Herbstsonne durch den Raum zu folgen wie eine Katze, runterzuschlendern und mir ganz allein einen überteuerten Cappuccino zu holen und mich einfach erwachsen zu fühlen. Die Wohnung lag im Erdgeschoss eines lebhaften edwardianischen Reihenhauses, und die Bewohner waren die typische Nordlondoner Mischung: ein persisches Pärchen, ein Lehrer und ein schüchterner Musiker mit Treuhandvermögen, dem die ganze oberste Etage gehörte, aus der manchmal dicke Haschischwolken quollen, die das ganze Haus durchdrangen.
Dahin flitzte ich jetzt auf schnellstem Wege. In meinem Kopf war nur ein Gedanke: So rasch wie möglich dorthin. Okay, ich hatte meinen Schlüssel zwar nicht dabei, aber für solche Fälle habe ich immer einen Ersatzschlüssel in einem Blumentopf zwischen den Hecken im Vorgarten. Wenn ich erst mal drinnen wäre, könnte ich mich hinsetzen, ein paar Mal tief durchatmen und mir eine ordentliche Tasse Kaffee machen. Während ich auf Embarke Gardens zulief, blickte ich mich ein paar Mal misstrauisch um, aber alles sah genauso aus wie sonst. Das alte blaue Auto, das sich nie vom Fleck rührte, parkte immer noch an der Ecke. Hendrix, die Katze des Besitzers der Wohnung im obersten Stock, pirschte wachsam durch die Vorgärten, wie jeden Tag auf seiner Nachbarschaftspatrouille. Ich seufzte vor Erleichterung. Fast zu Hause.
Ich bückte mich und tastete nach dem Schlüssel. Nicht da. Das war seltsam. Andererseits, Olly war vermutlich ausgeflippt, als ich abhanden gekommen war. Wahrscheinlich war er hergekommen, um mich zu suchen. Vielleicht war er sogar gerade drinnen. Oh. Damit wollte ich mich im Moment eigentlich nicht auseinander setzen. Außerdem war er wirklich ein sehr rational denkender Mensch. Mein kleiner Ausflug in die Bewusstlosigkeit würde bei ihm vermutlich nicht allzu gut ankommen.
Aber ich musste trotzdem rein. Ich klingelte. Niemand öffnete. Scheiße. Ich drückte auf alle anderen Klingeln, in der Hoffnung, jemand würde zumindest die Haustür aufmachen, aber auch da keine Reaktion. Scheiße. Ich blickte die Straße hinunter. Okay. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass ich das machte - daher auch die Idee mit dem Schlüssel im Blumentopf -, aber ich würde oben durchs Fenster klettern müssen, das man im Notfall nach unten schieben konnte.
Ich kletterte an der Holzverkleidung nach oben und stellte mit Entzücken fest, dass es mir kinderleicht fiel. Gott, war ich biegsam und gelenkig! Wahrscheinlich könnte ich sogar mit einem Purzelbaum hineinspringen! La la la. Ich zog das Fenster runter und ließ mich auf mein rotes, knautschiges Lieblingssofa fallen. Oder vielmehr dahin, wo das Sofa hätte sein sollen.
Wer zum Teufel hatte einen riesigen, knubbeligen modernistischen Couchtisch aus Glas in meine Wohnung gestellt?
Ich richtete mich auf, rieb mir den Rücken und guckte mich langsam um. Und dann noch mal. Nein, ganz gleich, wie lange ich auch hinglotzte, es gab keinen Zweifel: Das waren nicht meine Möbel, das waren nicht meine Bücher. Nein. Nein nein nein nein nein. Wie eine Irre jagte ich durch die Wohnung und suchte nach irgendeinem Anhaltspunkt - irgendetwas -, womit sich beweisen ließ, dass ich mal hier gewohnt, mal existiert hatte. Nein. Mein Gott. Ich konnte doch nicht... ich konnte doch nicht nicht existieren. Das war doch nicht möglich.
Aber wenn ich jetzt sechzehn war,
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