Einmal Hochzeit und zurück
zurück.
Ich schluckte schwer. Was zum Teufel machte ich hier?
»Sachte, Bruder«, sagte Justin. »Ganz sachte.«
Clelland hatte eine Mordswut. Doch dann, man konnte es genau in seinem Gesicht sehen, schluckte er heftig, als wollte er seinen ganzen Zorn hinunterschlucken. Seine Augen waren aber noch immer kohlschwarz und funkelten und glühten vor Wut. Er wandte sich mir zu, und ich spürte, wie mir das Herz in die Hose rutschte.
»Lass die Finger von ihm«, fauchte er.
»Ahm, ja, entschuldige bitte, ignorier mich einfach, ich steh hier bloß so rum«, mischte Justin sich ein und bemühte sich krampfhaft, unbeeindruckt zu wirken.
»Halt dich da raus.«
»Tut mir Leid«, sagte ich. »Ich bin bloß -«
»Ich kann‘s nicht... ich kanns einfach nicht fassen, dass du zu so was fähig bist, Flora. Ich fass es einfach nicht. Ich meine. das ist so was von ... so was von ... also ehrlich ...«
»Es tut mir Leid! Es tut mir Leid! Ich habe doch nicht - ich wollte doch nicht...«
»Was wäre, wenn du ein Junge wärst und er ein Mädchen, hm? Hast du darüber schon mal nachgedacht?«
»Hä?«, sagte Justin.
»Das wäre was ganz anderes«, entgegnete ich. Die Tränen aus der Mittagspause stiegen wieder in mir auf.
»Nein, nein, wäre es nicht, Flora. Kapierst du das denn nicht?«
»Aber -«, begann ich.
»Du widerst mich an. Ist das eine abgedrehte, verspätete Rache? An mir?«
»Nein!«, rief ich. »Ganz bestimmt nicht. Nein.«
»Sieht aber ganz danach aus.«
»Was zum Geier geht hier ab?«, fragte Justin. Er wirkte ziemlich verstört. »Geht hier irgendwas ab?«
»Nein!«, sagten wir im Chor.
»Mein Gott«, presste Clelland hervor. »Du bist so was von ... ich schäme mich für dich.«
Justin sah mich an, und dann ihn. Ich zitterte am ganzen Leib. Wirklich wahr.
»Komm, Justin. Um die machst du in Zukunft besser einen großen Bogen.«
Im Weggehen warf Justin mir einen langen, sehnsüchtigen Blick zu.
»Wiedersehen«, flüsterte ich mit erstickter Stimme.
»Oh, guck mal, das kleine Mädchen weint«, spottete Clelland. »Eine Runde Mitleid für das arme kleine Mädchen. Es ist so naiv. So unbedarft. Es macht noch so viele Fehler. So verdammt viele Fehler.« Er funkelte mich mordlustig an.
Ich blickte ihm mit offenem Mund hinterher.
»Würdest du mir bitte mal verraten, was hier vor sich geht, verdammt noch mal?« Madeleine war aus dem Auto gestiegen und stand nun in der Tür und starrte uns drei an.
»Nichts«, bellte Clelland. »Du würdest das sowieso nicht verstehen.«
»Ach, meinst du?«, kläffte sie zurück. »Weil ich ja nie was verstehe, stimmt‘s, John? Außer natürlich dass ich mich bemühe, immer das Richtige zu tun.«
Sie stieg wieder ins Auto und knallte die Tür zu. Clelland packte Justin und dirigierte ihn in Richtung Wagen, dann stiegen sie ein und fuhren ohne einen Blick zurück davon.
14. Kapitel
Während die Hochzeit unaufhaltsam näher rückte, vergrub ich für die nächsten vier Tage das Gesicht in den Kissen und heulte mich in eine wahre Teenie-Hysterie, während meine Eltern unten saßen und sich Sorgen um mich machten. Ich tat mir abwechselnd Leid und schämte mich. Mum brachte mir tassenweise heiße Schokolade, wovon ich nur noch mehr heulen musste, weil ich so furchtbar dankbar war, dass es hier im Haus jemanden gab, der mir Kakao kochte.
Keiner der Jungs rief mich an. War ja klar. Was um alles in der Welt hatte ich denn erwartet? Dass Justin sich über Nacht in einen schrecklich einfühlsame Erwachsenen verwandelt hatte? Dass Clelland es sich noch mal überlegte und es auf einmal vollkommen in Ordnung fand, dass eine 32-Jährige mit seinem kleinen Bruder rummachte? Und nie im Leben hätte ich geglaubt, dass er jemals an uns beide zurückgedacht hatte. Jedenfalls nicht so, nein, ganz bestimmt nicht.
Clelland hatte Recht. Es war widerlich, einen 17-jährigen Jungen zu küssen. Oder etwa nicht? Plötzlich gewann mein Trotzkopf wieder die Oberhand. Cameron Diaz durfte mit Justin Timberlake rumknutschen, und die könnte glatt seine Mutter sein. Rod Steward ging dauernd mit Teenagern aus. Clelland spielte sich bloß als Anstandswauwau auf, weil es um seinen kleinen Bruder ging.
Ich war eindeutig zu weit gegangen. Keine Frage. Aber Clelland musste ja auch nicht im Körper eines Teenagers leben. Und außerdem hatte er selbst gesagt, ich solle dieses Leben als Geschenk betrachten, es annehmen und auskosten, weil man schließlich nicht wusste, was als Nächstes passieren
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