Einmal Paradies und zurück
dass eine Trennung von Tim ganz in ihrem Sinne wäre. Außerdem hat sie zwanzig Kilo zugenommen.
Tja.
Aber zurück zu dem grausigen Foto, das Fiona immer noch anstarrt. Je trübseliger ihre Augen werden, desto schlechter fühle ich mich. Damit ich nicht total weinerlich werde, erzähle ich euch lieber noch mehr über Fiona. Ein paar Dinge, die man über ihr Verhältnis zu ihrer Arbeit unbedingt wissen sollte.
Fiona unterrichtet Englisch und Geschichte und ärgert sich furchtbar, wenn jemand ihr sagt, sie hätte einen Superjob – Feierabend um vier, lange Ferien und so weiter. Sie selbst findet das, was sich im Klassenzimmer abspielt, halb so schlimm, aber die Schufterei beginnt, wenn sie sich Abend für Abend hinsetzen und bergeweise Arbeiten korrigieren muss.
Sie arbeitet an einem schicken Mädchengymnasium, für das man Schulgeld bezahlen muss und das von Nonnen geleitet wird, was in der Praxis bedeutet, dass Fionas Chancen, im beruflichen Umfeld einen Mann zu treffen, gegen null gehen. Abgesehen von MrByrne, dem Kunstlehrer, der Ende sechzig und aller Wahrscheinlichkeit nach schwul ist (letzten Sommer ist er nach Las Vegas geflogen, um Céline Dion zu sehen …), besteht das Kollegium ausschließlich aus Frauen, Verheirateten und Nonnen.
Die Kollegen sind insgesamt sehr nett, aber Fiona ist mit ungefähr zehn Jahren Abstand die Jüngste. Ihr Standardscherz lautet, dass das kollektive Alter der anderen um die zweitausend beträgt. Verständlich, dass sie sich als Außenseiterin fühlt, wenn sich die anderen beim Lunch über Kommunionen/Konfirmationen unterhalten, sich Sorgen machen, ob die Kinder bei der philippinischen Nanny wirklich gut aufgehoben sind, und ob man nicht vielleicht doch ein bisschen kürzer treten und den Stress reduzieren müsste, wogegen aber spricht, dass man das Ferienhäuschen wegen der Krise weit billiger verkaufen musste, als man vorher reininvestiert hatte. Und so weiter. Deshalb verbringt Fiona ja ihre Freistunden lieber an ihrem Laptop, und daraus kann man ihr keinen Vorwurf machen.
Weil Fiona die Einzige im Kollegium ist, die keine Kinder hat, bleibt jedes Jahr die Leitung des Sommercamps an ihr hängen. Zwar behauptet sie stur, dass sie das gerne macht und das zusätzliche Geld gut brauchen kann, aber wenn ihr mich fragt, ist das nur eine Ausrede, denn wenn sie im Sommercamp ist, hat sie eine gute Ausrede, auch in den Ferien abends nicht ausgehen zu müssen. Die Sache hat System: Ich schlage ihr vor, zusammen essen oder ins Kino zu gehen oder mit mir und James zu grillen, und sie druckst rum und argumentiert, dass sie im Sommer eigentlich noch viel mehr arbeiten muss als den Rest des Jahres. Und dass niemand es mitkriegt. Anfangs dachte ich, es würde an James liegen, denn die beiden sind nie gut miteinander ausgekommen – um es mal vorsichtig auszudrücken. Aber nach einer Weile ist mir klargeworden, dass Fionas engste Beziehung die zu ihrem Computer ist. Ich versuche, sie rauszulocken – und sei es auch nur zu einem frühen Abendessen –, während sie darauf brennt, sich endlich zu Hause mit einem Glas Sauvignon Blanc vor dem blöden Internet niederzulassen. Fiona vertritt die Meinung, dass Onlinedating der Weg der Zukunft ist, während ich überzeugt bin, dann man nur sonderbare, wenn nicht fragwürdige Typen kennenlernt, mit einem Profil im Stil von: »Junggeselle, Anfang sechzig, experimentierfreudig, sucht heiratswilliges Mädchen Anfang zwanzig für vergnügliche Stunden. Sollte ein eigenes Huhn besitzen.«
Jetzt stößt Fiona einen abgrundtiefen Seufzer aus und wendet sich dann wieder ihrem Computer zu. Mein Blick folgt ihrem. Auf dem Bildschirm sind etwa zehn Männerprofile zu sehen, die sie blitzschnell überfliegt, den Finger stets auf der »Entfernen«-Taste. Dann blickt sie verstohlen über die Schulter, vergewissert sich, dass niemand ins Lehrerzimmer gekommen ist, und betrachtete wieder unser Foto.
»Ich weiß, was du sagen würdest, wenn du hier wärst, Charlotte.«
»Ich bin ja hier«, sage ich, aber sie reagiert nicht. Ein sonderbares Gefühl.
»Du würdest mir ausführlich erklären, dass ich nur meine Zeit verschwende …«
»Allerdings.«
»… und allmählich komme ich zu der Erkenntnis, dass du möglicherweise nicht ganz unrecht hast.«
Ich bin so verblüfft, dass ich fast vom Schreibtisch falle.
»Aber du bist nicht hier, und ich vermisse dich wie blöde.«
Ich kriege kein Wort heraus. Aber ich kann euch eines sagen: Wer behauptet, Engel
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