haben wir’s mal wieder. Die schärfsten Kritiker der Elche und so weiter, ihr wisst schon.
Sarahs Zeitschrift wird konfisziert, wie sich das gehört, Fiona stopft sie in ihre Mappe, und ich denke, dass sie wahrscheinlich in der Mittagspause den anstößigen Fragebogen selbst ausfüllt. Wie dem auch sei – jedenfalls erklärt sie jetzt der Klasse, dass sie bis zum Klingeln Zeit haben, die Frage auf der Tafel zu beantworten, und dass die Antworten benotet werden. Also ehrlich. Man muss wirklich ein Herz aus Stein haben, wenn es beim Anblick all der bleichen, verängstigten Mädchen, die sich über Stalin und Mussolini die Seele aus dem Leib schreiben, nicht schmilzt.
»Laaaangweilig«, sage ich laut, aber natürlich reagiert niemand.
Nach James’ Beinahe-Herzattacken heute Vormittag muss ich mich erst wieder daran gewöhnen. Schon eine sonderbare Vorstellung, dass ich hier splitterfasernackt rumstehen könnte, und keiner würde zweimal hinschauen. Hmm.
Im Klassenzimmer herrscht Totenstille, abgesehen vom Kratzen der Stifte auf dem Papier.
»Fiona? Fioooooona!«
Nichts. Ich wollte ja auch nur für einen Moment der Langeweile entfliehen. Nach einer Weile beschließe ich, mich damit zu amüsieren, über ihre Schulter hinweg einen Blick auf das Display ihres Telefons zu riskieren.
»Tut mir leid, Schatz«, entschuldige ich mich. »Ich weiß, ich sollte das nicht machen, aber wenn man tot ist, gibt es verdammt wenig Abwechslung. Also … es stört dich doch hoffentlich nicht, wenn ich mitlese, oder?«
Sie niest, was ich als ein: ›Ja, kein Problem, Charlotte, mach ruhig‹, verstehe.
Wie sich herausstellt, checkt sie gerade ihre Mails und … ach, um Himmels willen! Was ist das denn?
Da ist was im Posteingang.
Von ihrem Schäferhundfan. Eine Mail, die er um ein Uhr heute Nacht abgeschickt hat.
Oooooh, hoffentlich was Spannendes.
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betreff: Demütige Entschuldigung
Liebe Lexie,
zuerst einmal: Ich hätte vollstes Verständnis dafür, wenn du diese Mail löschst, sobald du meinen Namen siehst. Nach dem, was gestern Abend passiert ist, würde ich dir das nicht übelnehmen. Aber es gibt eine Erklärung für meinen Fauxpas, und ich bin so unverschämt, dich zu bitten, wenn du bis hierher gelesen hast, noch ein bisschen weiterzulesen.
»Löschen!«, brülle ich ihr direkt ins Ohr, aber sie wendet die Augen keine Sekunde vom Display ab. »Lösch das sofort und renn weg so schnell du kannst.«
Aber sie liest unbeirrt weiter.
»Fiona«, beharre ich, »du wirst sehen, er benutzt den ältesten Trick der Welt, um dich rumzukriegen. Denk an meine Worte: Er wird dir erzählen, dass er seine kranke Großmutter versorgen musste, die beim Bingo aus Versehen ihr Glasauge verloren hat, oder er war gestern Abend auf dem Rückflug aus Weißrussland, wo er ein Waisenhaus für kranke Kinder gegründet hat, und dann kam ein schreckliches Gewitter, der Flug wurde nach Swasiland umgeleitet, und von dort schreibt er jetzt. FIONA ! Bitte hör auf mich!«
Aber es nützt nichts.
Ich weiß, dass man im Internet auf keinen Fall zu viele persönliche Einzelheiten preisgeben soll, aber nach allem, was passiert ist, habe ich keine andere Wahl.
»Fiona, er hat gerade das Wort ›preisgeben‹ benutzt. Wenn das kein klarer Hinweis darauf ist, dass er schwul ist, dann weiß ich nicht, was dir die Augen öffnen könnte. Darauf würde ich meinen Kopf verwetten. Würdest du bitte aufwachen und deine grauen Zellen benutzen?«
Ich bin Tierarzt und arbeite in einer kleinen Praxis in Carlow. Gestern Abend, als ich zu unserem Treffen unterwegs nach Dublin war, hat mich ein Bauer aus der Gegend auf dem Handy angerufen, weil eine seiner Stuten zu früh anfing zu fohlen. In der Praxis hatte keiner Zeit zu helfen, also hatte ich keine andere Wahl als hinzufahren. Die Entbindung hat sich die ganze Nacht hingezogen, deshalb konnte ich mich nicht bei dir melden. Ich bin gerade erst heimgekommen und schicke dir sofort diese Mail, um dich wissen zu lassen, was passiert ist, und natürlich auch, um mich zu entschuldigen.
»Okay, dann ist er vielleicht ein schwuler Tierarzt«, sage ich, und glaubt mir, es ist mehr als sonderbar für mich, dass sie einfach weiterliest, kein Wimpernzucken, gar nichts. Noch seltsamer ist, dass ich vor dreißig jungen Mädchen über Fionas Liebesleben spreche.
»Fiona, Tatsache bleibt, dass das hier nicht der richtige Mann für dich ist.« Ich bemühe mich zu