Einmal Paradies und zurück
klingen wie Oprah – ihr wisst schon, weise, aber einfühlsam, aber es kommt nicht an. Fionas Blick rast gierig über die Mail.
Glaub mir, ich bin nicht der Typ, der absichtlich eine Verabredung platzen lässt, es war ein echter Notfall. Ich weiß, es ist höchst unwahrscheinlich, dass du bereit bist, noch mal einen Termin mit mir zu vereinbaren, aber falls du dich dazu durchringen könntest, mir noch eine Chance zu geben, würde ich mich sehr gern mit dir treffen. Dein Online-Profil ist das amüsanteste, das ich je gelesen habe, du siehst auf dem Foto umwerfend aus, und ich würde mich von Herzen freuen, mich persönlich bei dir entschuldigen zu können.
Natürlich nur, wenn es sich mit deinem Trainingsprogramm im Fitnessstudio vereinbaren lässt.
Richtig. Jetzt läuft Fiona puterrot an, weil ihr einfällt, dass ihr Alter Ego Lexie Hart Fitnesstrainerin und Bauch, Beine, Po ihr Lieblingskurs ist.
Alles, alles Gute, und wenn du mit mir Kontakt aufnehmen möchtest, stehe ich jederzeit zur Verfügung.
Übrigens hat die Stute ein gesundes Fohlen zur Welt gebracht. Wir haben es Nelson getauft, nach Nelson Mandela.
Oh, diese Unverfrorenheit! Wütend setze ich mich wieder auf den Schreibtisch und kicke mit den Beinen. Da tut der Kerl auch noch so politisch korrekt, um sich bei Fiona einzuschleimen. Ich würde alles darum geben, ihr ein greifbares Zeichen senden zu können. Ihr beispielsweise eine Nachricht auf ihren Laptop tippen oder so. Oder sie dazu bringen, das Radio anzustellen, wo gerade ein Song spielt, den sie sofort als Botschaft von mir erkennt. Dad macht das bei Mum die ganze Zeit, hat er gesagt. Wenn ich nur wüsste, wie! Ich bin allerdings nicht sicher, ob es Songs mit Texten gibt wie »Ignoriere diesen blöden Mistkerl aus dem Internet, er hat dich versetzt, und das wird nichts mit ihm.« Und dann alle zusammen den Refrain:
Er ist ’ne Niiiiiiete,
Er ist ’ne Niiiiiiete,
Hat dich sitzenlassen im Lokal,
Das tut er ganz bestimmt noch mal,
Spendiert dir nicht mal einen Kaffee,
Der ist doch bloß ein blöder Affeeee!
… und so weiter und so fort.
Die Stille wird unterbrochen von der Pausenklingel, worauf eine Art Gewitter losbricht: Stühle werden zurückgeschoben, Hefte auf den Tisch geknallt, die Mädels packen ein und rennen in circa zwanzig Richtungen davon, laden auf dem Weg zur Tür ihre Antwortbögen auf Fionas Schreibtisch ab, und manche brummen im Vorbeigehen sogar ein »Danke, Miss«. In Lichtgeschwindigkeit leert sich der Klassenraum, bis Fiona allein dasitzt, wehmütig und verloren, in die Luft starrt und mit dem Kuli auf den Tisch trommelt.
Wenn ich diese Signale richtig deute, besteht eine reelle Chance, dass sie die Räuberpistole tatsächlich glaubt, wie der Schäferhundfan letzte Nacht einen auf
Der Doktor und das liebe Vieh
gemacht hat. Das war übrigens zufälligerweise Fionas Lieblingssendung als Kind.
Ich muss eingreifen, gar keine Frage. Sie kann Gott danken, dass ich da bin. Ehrlich, ich frage mich, was sie ohne mich tun würde.
Später im Lehrerzimmer wird Fiona in ihrem Kabuff, wo sie wieder mal vor dem Computer kauert, von Mary Bell aufgescheucht. Sie ist Mathelehrerin, eine freundliche Frau mittleren Alters mit einem runden Gesicht, und ich erinnere mich, dass Fiona mir erzählt hat, dass sie voriges Jahr Witwe geworden ist.
»Ich will ja nicht stören«, sagt sie zögernd, während Fiona ihren Laptop zuklappt. Entweder war sie bei Facebook oder hat ihr Online-Horoskop gelesen.
»Nein, nein, Sie stören überhaupt nicht.«
»Ich wollte nur fragen, wie es Ihnen geht, ich meine, nach dem Unfall Ihrer Freundin.«
»Äh, na ja, es ist nicht leicht …«
»Wie kommt denn die Familie damit zurecht?«
Ach Gott, ich weiß nicht, ob ich der Antwort gewachsen bin. Der Gedanke daran, wie traurig Mum und Kate sind … nein, ich glaube, ich möchte das nicht hören. Noch nicht. Es tut zu weh. Und aus irgendeinem Grund wird es, je länger ich auf dieser Seite des Zauns bin, immer schwieriger, obwohl ich sie doch immer noch so oft sehe. Plötzlich muss ich mich auf meine Atmung konzentrieren, halte mir die Ohren zu, begebe mich auf die andere Seite des Raums und überlasse die beiden erst mal sich selbst. Sorry, aber auch Engeln tut manchmal das Herz weh.
Ein paar Lehrerinnen – zufälligerweise heißen sie allesamt mit Vornamen Mary – sitzen plaudernd um den Tisch herum, und ich geselle mich zu ihnen. Eine der Marys erzählt von einem Artikel, in dem es darum ging,
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