Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
Personal im Fichtenhain sicher mitfühlender und verständnisvoller gewesen, hatte an jedem Patienten als einzelnem mehr Interesse gehabt, aber als es dann Jahre und Jahre lang mit Leuten zu tun hatte, die entweder ihre Tuberkulose wie einen heißgeliebten alten Schal an sich preßten und Ärzte und Schwestern reizten, ihnen den wegzunehmen, oder sich benahmen, als wenn das Personal ihnen heimlich Tuberkulose injizierte, damit es weiter seine kleinen Pflichten erfüllen, die Kopfenden hochstellen oder die Wagen mit den Tabletts schieben könnte, da war schließlich auch die letzte Spur von Sympathie und Freundlichkeit vergangen, und das Ganze war zu einem reibungslosen, leistungsfähigen, starren System geworden. „Wir werden Sie gesund machen, und die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist die Gerade,“ wurden wir belehrt. „Hier ist diese Gerade, entweder folgen Sie der, oder Sie verschwinden.“
    Wenn man am Morgen Leute zu wecken hat, stellt man die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten her, indem man ihnen mit irgend etwas auf den Kopf schlägt. Der Fichtenhain hatte die zweitbeste Lösung erfunden, die Waschwasser-Mädchen. Das waren weibliche Patienten, die acht Stunden auf sein durften und ihre Kraft und Ausdauer (außerdem die Nerven und die Widerstandsfähigkeit der bettlägerigen Patienten) an kleinen Arbeiten im Krankenhaus erprobten.
    An jenem ersten Morgen, in der öden Zeit zwischen fünf Uhr dreißig und sechs, wenn alle Lebensgeister am Boden liegen, kamen sie plötzlich in unsere Tür gewuchtet, knipsten die Deckenbeleuchtung an und brachten ihre mit Schüsseln und Krügen beladenen Karren in der Mitte des Zimmers krachend zum Halten. Bei dem grell aufflammenden Licht und dem blechernen Lärm glaubte man, eine Explosion mitzumachen.
    Ich fuhr aus dem Schlaf und mit einem Satz hellwach in die Höhe, setzte mich bibbernd hoch und versuchte das Zimmer zu erkennen. Ein kleines, rundliches Mädchen mit schwarzem, krausem Haar und merkwürdig hellblauen Augen knallte mit polterndem Bums eine Aluminiumschüssel auf die Porzellanplatte des Nachttisches und befahl mir mit lauter, munterer Stimme, eines meiner Wassergläser in die Schüssel zu stellen. Das tat ich, und sie goß heißes Wasser darein, außerdem noch einen kleinen Schuß in die Schüssel.
    „Wofür ist das Glas?“ fragte ich. „Zähne,“ antwortete sie. „Doch nicht heißes Wasser!“ entsetzte ich mich. „Gewiß doch.“ Sie fügte jedoch großmütig hinzu: „Wenn Sie wollen, können Sie sich die Zähne mit dem Trinkwasser putzen und dies trinken.“ Sie lächelte. „Sie sind wohl neu?“ Ich bestätigte das, und wir tauschten unsere Namen und einige Angaben aus.
    Sie erzählte mir, daß sie Estelle Richmond hieße, seit drei Jahren im Fichtenhain und .„wirklich schlimm dran“ sei. Da sie rundlich war, rosige Backen hatte und viel gesunder aussah als die meisten meiner Freundinnen, meinte ich: „Aber Sie sehen glänzend aus!“ Sie entgegnete: „Ach, ’ne Zeitlang halt ich gut durch, und dann brech ich zusammen, und zurück marsch, marsch! ins Bett. Fünfmal war ich schon in diesem Zimmer. Ist es bei Ihnen sehr schlimm?“ Ich antwortete wahrheitsgetreu, daß ich es nicht wisse, daß ich aber hoffe, in einem Jahr nach Hause zu gehen. „Ein Jahr!“ Sie war empört. „Kein Mensch kommt in einem Jahr hier raus. Sogar zum Sterben braucht man länger. Richt dich lieber auf länger ein, mein Kind.“ Ihr Kind wagte ihr nicht zu sagen, daß es sich insgeheim auf sechs Monate eingestellt hatte, tot oder lebendig.
    Das andere Waschwasser-Mädchen, eine sehr dünne junge Blondine mit einem Goldzahn und kastanienbrauner Wolljacke, berichtete Sylvia, Marie und Kimi Neuigkeiten aus dem übrigen Sanatorium. „Mary Haley hat einen Blutsturz gehabt und wieder Bettruhe. Katherine Fay war gestern zur Untersuchung, aber der Arzt hat ihr gesagt, daß sie über drei Stunden nicht rausdarf. Auf den drei Stunden ist sie jetzt seit zwei Jahren. Armes Häschen! Hazel Espey soll zur Operation, und John Hennigan ist beim Rauchen ertappt und hat den Stadturlaub gestrichen bekommen, den ersten seit zwei Jahren.“
    Zweierlei fiel mir auf: alle Nachrichten waren deprimierend, und die Patienten redeten von zwei, drei und fünf Jahren mit einer Selbstverständlichkeit, mit der man gewöhnlich von Minuten spricht. Da ich aber immer noch Schwierigkeiten hatte, der nackten Tatsache ins Gesicht zu sehen, daß ich für ein Jahr von den Kindern

Weitere Kostenlose Bücher