Einmal scheint die Sonne wieder
und spuckten ungeschickt aus dem Fenster.
Die „Sauersüßen“ waren Frauen, die nur mit dem Mund lachten, wenn sie zu den Nebensitzenden mit lauten, tönenden Stimmen sagten: „Oh, ich fühl mich morgens immer glänzend. Sie würden sich bestimmt auch besser fühlen, wenn Sie nicht den grünen Mantel anzögen. Leute mit so blasser Farbe wie Sie (haha!) sollten niemals grün tragen.“
Marie und Sylvia husteten, spien aus und räusperten sich. Für sie war das nur eine vorschriftsmäßige Routine, mir aber erschien es in meiner gehässigen Stimmung als vorsätzliche, wohlüberlegte Geschmacklosigkeit. Von überall aus dem Krankenhaus kamen die gleichen, ekelhaften Geräusche. Ich schüttelte mich und sah zu Kimi hinüber, die wenigstens ruhig war. Sie war eifrig dabei, in den knapp zwei Tassen Wasser, das die Waschwasser-Mädchen ihr gegeben hatten, ein vollständiges, ziemlich seifiges Bad zu nehmen, und schrubbte sich so gründlich und kräftig, als hätte sie die ganze Nacht Kohlen geschaufelt, anstatt völlig still in einem sauberen weißen Bett zu liegen. Als sie immer noch mehr Seife nahm, fragte ich sie, wie sie das abzuspülen gedächte. „Das trockne ich ab,“ meinte sie. Ich sagte: „Da müssen Sie sich doch Vorkommen, als ob Sie in Eiweiß eingetaucht wären.“ Sie sah mich unwillig an. „Komm ich mir auch, aber das ist mir egal. Bazillen, die sich auf der Haut einnisten könnten, gedeihen auf Seife jedenfalls nicht.“ Ich lachte. Vom Lachen mußte ich zwar husten, aber es lüftete den Schleier meiner morgendlichen Gehässigkeit.
Nachdem die Waschwasser-Mädchen die Schüsseln eingesammelt hatten, nahmen wir alle die braunen Papiersäcke mit gebrauchten Taschentüchern von unseren Tischen, falteten die Ränder hoch, knifften die oberen Kanten zusammen und warfen sie ans Fußende unserer Betten. Dann taten wir sorgfältig gefaltete, saubere Säcke hinein, notierten auf unsere Auswurfproben Namen, Datum und ob die Probe in acht oder vierundzwanzig Stunden zusammengekommen sei, stellten unsere Spucknäpfe hin, räumten unsere Nachtkästen auf und hörten uns Maries Klagen an.
Marie tat es in der Brust weh, sie hatte Gase im Magen, Schmerzen in den Gelenken, hatte sich bestimmt durchgelegen und war verstopft. Sie hielt alle Ärzte für Quacksalber, weil sie ihre Tuberkulose nicht im frühen Stadium erkannt hatten; und obwohl ich merkte, daß diese Beschwerde von allen Tb-Patienten vorgebracht wurde und ihre Ursache sicherlich darin hatte, daß allzu viele Ärzte die Tuberkulose gewöhnlich auch dann nicht erkennen, wenn sie mit der Nase drauf gestoßen werden, so muß ich doch zugeben, daß es in Maries Fall ebenso schwer gewesen wäre, zwischen ihren hundert anderen Leiden eine beginnende Tuberkulose herauszufinden wie ein einsames Veilchen in einem Wickenfeld.
Marie erzählte, daß alle Patienten eigentlich am Ende des ersten Monats aus der Vierbett-Zimmer-Station in eine der kleinen Zellen am Ende des Flurs verlegt würden, aber sie sei schon fünf Wochen im Fichtenhain, und man hätte sie noch nicht verlegt. Daß alle anderen Patienten nach einem Monat fünfzehn Minuten am Tag lesen und schreiben und einmal täglich ins Badezimmer gehen dürften, sie jedoch nicht. Die Oberschwester könne sie nicht leiden.
Marie war fünfunddreißig Jahre alt und hatte viele Jahre in einem Anwaltsbüro gearbeitet, aber sie redete wie eine Zehnjährige. Jeder im Fichtenhain sei gegen sie. Bloß aus Gemeinheit ließen sie sie im Bett. Sylvia hielt ihr vor, daß sie nicht verlegt worden sei und keine Lese-, und Schreiberlaubnis bekommen habe, weil sie Temperatur hätte, worauf Marie entgegnete, sie würde ihr Thermometer runterschütteln. Sylvia antwortete: „Da machen Sie sich doch nur selbst was vor.“
Kimi sagte mit ihrer zarten, hohen Stimme: „Ich hab die Beobachtung gemacht, daß bei allem im Leben die Männer vorgezogen werden. Hier im Fichtenhain, in der Männerstation für Bettlägerige eine Treppe tiefer, darf jeder Mann von seinem ersten Tag an alle Zeitungen lesen.“ Sylvia meinte: „Die Männer sind kräftiger als die Frauen, die brauchen nicht so strenge Bettruhe.“ Kimi sagte: „Unsinn, es liegt daran, daß der Chefarzt auch ein Mann ist. Der denkt sich: ,Frauen haben einen kleinen Verstand. Die können ruhig dreißig Tage lang jeden Tag vierundzwanzig Stunden, im ganzen siebenhundertundzwanzig Stunden, liegen und nichts tun. Der Mann hat einen starken Verstand. Den muß er beschäftigen.
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