Einmal scheint die Sonne wieder
antwortete: „Keine blasse Ahnung haben Sie. Sie haben meine Oma ja noch nie gesehen. Und wie haben Sie sich die Tb geholt, kleine Eva? Von ’nem rumreisenden ollen Yankee?“ Minna erzählte: „Ich war nie kräftig. Ich war ein ganz kränkliches Kind, nichts als große blaue Augen und spindeldürre Beine. Mama hat gesagt, sie hätte nie im Leben gedacht, daß sie mich durchbringt.“ Eileen antwortete mit zwei kurzen Flüchen.
Minna überhörte das und fuhr mit ihrer Geschichte fort: „Jeden Wihnter hatte ich ein paarmal ganz schrecklich schlimme Brustfellentzündung, und der Dokta hat mir imma Bestrahlungen gemacht. Meine Lungen hat er nie geröntgt, und der Dokta in der Tb-Klinik hat gesacht, daß ich schon seit Jahren und Jahren Tb gehabt hätte. Ich bin ganz schwer krank. Kavernen in meinen beiden Lungen…“ – „Und eine große im Kopf,“ schloß Eileen grob.
Ich erzählte ihnen von dem Mann in meinem Büro, und alle waren sie tief empört. Kimi sagte: „Bei Männern läßt sich so schwer was sagen. Die husten und spucken wohl alle so viel.“ Dann holten die Schwestern die Abendbrottabletts, und es war Zeit für den Stationsarzt.
Eileen wählte aus ihrem reichen Assortiment an Zerstäuberflaschen ein aufdringliches Moschusparfüm und bespritzte sich ausgiebig ihr Haar und das Kissen, Minna nahm etwas Eau de Cologne mit Veilchengeruch und legte ihre Bibel in Reichweite auf der Bettdecke zur Schau; aber der neue junge Arzt schaute nur zur Tür herein, sagte: „Geht’s gut?“ und verschwand. Hinter seinem Rücken wurde die Oberschwester sichtbar, und ich wurde fast ohnmächtig. Als die fort waren, sagte Minna: „Kein Wunda, daß er nicht reinkommen wollte – hiär riecht’s wie in einem Huänhaus.“ Ich dachte bei mir, was Hure für ein nettes Wort sei, wenn Minna es aussprach.
Am fünften Oktober mußte Kimi zur Röntgenaufnahme und am nächsten Tag wurden ihr 15 Minuten Schreib- und Lesezeit täglich bewilligt. Die Oberschwester kam vor den Ruhestunden herein und verkündete: „Miß Sambo, Sie dürfen täglich fünfzehn Minuten lesen und schreiben,“ worauf Kimi antwortete: „Danke schön, aber ich glaube nicht, daß ich dazu Zeit haben werde.“ Eileen fragte: „Wann kann ich Lese- und Schreibzeit kriegen?“ und Minna: „Nanu, ich dachte, Sie hätten schon Ihre Lese- und Schreibzeit?“ Lähmendes Schweigen folgte, und Minna hielt sich die Hand vor den Mund und sagte: „Huch, was ist mir da rausgerutscht!“
Nach dem Abendbrot holte die Oberschwester Eileen in ihr Büro. In ungefähr einer halben Stunde lieferte sie sie wieder bei uns ab, bockig und mit rotgeränderten Augen. Nachdem die Oberschwester gegangen war, sagte Minna: „Ich schwör Ihnen, Mädelchen, so hab ich das nich gemeint. Ich dachte bestimmt, Sie hätten Lese- und Schreibzeit.“ Eileen knurrte angewidert: „Ach, halten Sie den Mund!“ Dann kroch sie an das Fußende ihres Bettes und stellte das Radio ganz laut ein.
Minna hatte nur einen Besucher, aber er kam an jedem Besuchstag um Schlag zwei und blieb die ganzen zwei Stunden. Es war das „süße Dickerchen“, ihr liebender Gatte. Das „süße Dickerchen“ war etwa fünfzig Jahre alt, kahl, dick, und hatte ein Vollmondsgesicht, aber er brachte Minna Blumen und Konfekt, Körperpuder, Obst und Badesalz, Schmuck, Parfüm und Bettjäckchen. Sie sprach von ihm immer, als sei er eine Kreuzung zwischen Cary Grant und Noel Coward, und sagte häufig: „Ich weiß gar nich, wie ich zu dem Glück gekommen bin, daß ich so einen dicken, ollen, hübschen Mann für mich gekriegt habe.“
Einmal, gleich beim erstenmal, hatte Eileen entgegnet: „Sie können ruhig hinter dem ,dicken ollen‘ aufhören,“ und seltsamerweise hatte Minna da angefangen zu weinen. Sie sagte, daß sie „doch den dicken, ollen, schönen Mann liebte“ und daß er ihr „süßes Dickerchen“ wäre, und da sagte keiner mehr ein Wort. Wenn es sie glücklich machte, Vollmondsgesichter schön zu finden, war das ja schließlich die Hauptsache.
Einen Tag nachdem die Oberschwester Kimi die Lese- und Schreibzeit bewilligt hatte, sagte sie ihr, daß sie täglich einmal ins Badezimmer gehen dürfte. Kimi war außer sich vor Freude, bis sie nach dem Frühstück aufstand, sich ihren Bademantel anzog und Minna staunte: „O Mädelchen, was sind Sie groß, Sie sind ja einfach enoohrm! Daß Sie soo grooß sind, hab ich nich gedacht!“
Kimi antwortete ihr mit einem Gesicht, als hätte sie eine Ohrfeige
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