Einmal scheint die Sonne wieder
immer gesagt, aber es gab ewig Suppen.“
Kimi ergänzte: „Ich glaube, sie sagen das ,Miß‘ so oft, weil sie sich nicht zu sehr mit den Patienten anfreunden wollen, wo so viele von denen sterben,“ und ich sagte: „Das ist wegen der Disziplin. Sie müssen unpersönlich sein, damit sie die Disziplin durchsetzen, und durch die Disziplin werden wir gesund.“ – „Aber die hetzen die Dinge hier zu Tode,“ wiederholte Eileen. „Unten beim Zahnarzt war eine alte Dame, die seit sieben Jahren in diesem Laden ist. Sieben Jahre, und immer noch nennen die sie Miß Ryan. Jesus, wie lange dauert das denn hier, bis man ein bißchen bekannter ist?“
Sich an den völlig unpersönlichen Ton zu gewöhnen, war nicht nur für die Patienten schwierig, sondern auch für die neuen Schwestern, die mit ihnen Mitleid und vor den Oberschwestern Angst hatten. Neue Schwestern waren zunächst auf verschüchterte Weise lieb und freundlich; aber wenn sie so ungefähr eine Woche unter der Zucht der Oberschwester gestanden hatten, veränderten sie sich und wurden kühl, unpersönlich und äußerst tüchtig, wie die Oberschwester und ihre Assistentinnen.
Eileen nannte die Oberschwester immer „Alte Dame,“ aber eine sehr zutreffende Bezeichnung war das nicht, denn sie war weder alt noch damenhaft. Sie war vielleicht dreißig Jahre alt, groß, schlank, hübsch, kühl, beherrscht und fanatisch in ihrer Hingabe an die Arbeit. Unter ihrer Aufsicht vergingen in der Bettlägerigen-Abteilung für Frauen die Stunden und Tage mit der Regelmäßigkeit, mit der eine Lochmaschine arbeitet. Sie kannte jede Pore eines jeden Patienten und wußte, ob sie offen war und warum. Sie war die vollendete Schwester, das Traumbild eines jeden Krankenhausleiters.
Lautlos glitt sie die Flure auf und ab, verhinderte die Patienten am oder erwischte sie beim Lachen, Reden, Ausgreifen, Hochsitzen, Aus-dem-Fenster-Sehen, beim Lesen oder Schreiben, wenn sie es noch nicht durften, oder, wenn sie es durften, beim Überschreiten ihrer Lese- und Schreibzeit, beim Unterhalten mit anderen Patienten, beim Husten, Lockenwickeln, wenn sie „das Ei“ nicht aßen oder auf leeren Magen die Post lasen.
Der einzige Fall, in dem sie meines Wissens versagte, war Eileen. Fünfzigmal am Tag schlich sie in unser Zimmer, aber niemals ertappte sie Eileen beim Lesen, Schreiben, Sitzen, Lachen, Reden, Radio-Anstellen, Schminken, Lockendrehen, Nägelpolieren oder in der Unterhaltung mit irgend jemand, der zuhören oder antworten mochte.
Miß Murdock, Miß Muelbach, eine Mrs. Macklevenny, die groß und unsympathisch war und immer irgendwas Verfaultes zu riechen schien, eine Miß Garnet, die dick und blaß war, kurze Beine hatte und ein hängendes Hinterteil, das ihr beim Gehen hinten an die Beine schlug, und eine Miß Whiting, die sehr jung war, ihre Lippen aber wie zu einem Knopfloch einklemmte – ihnen allen war vielleicht ihre natürliche Wärme und Freundlichkeit durch die krasse Undankbarkeit und Störrischkeit der Patienten allmählich vergangen, aber mir schien es eher, als hätte ihre Berufsausbildung darin bestanden, Krüppeln Fußtritte zu geben und kleine Kinder zu prügeln. Neun Monate lang habe ich mich im Fichtenhain auf den Tag gefreut, an dem sie Tb hätten und ich Schwester wäre.
In meiner ersten Woche fragte ich Kimi einmal, wie sie Stunde um Stunde so völlig unbeweglich in ihrem Bett liegen könne. Sie antwortete in ihrer sanften Art: „Das ist nicht schwer. In Gedanken quäle ich die Schwestern.“ Damit meinte sie natürlich nur Granitauge, Schmalzgesicht, Mrs. Macklevenny und Miß Garnet.
Die übrigen Schwestern waren unfreundlich, aber nicht bösartig. Ein paar waren Engel.
Die Engel waren: Miß Hatfield, Katy Morris selbstverständlich, Anne Robinson, die am gleichen Tag in den Fichtenhain kam wie ich, groß, dunkel, schön und freundlich war, sich, nachdem sie uns sieben Monate gepflegt hatte, Miliartuberkulose holte und innerhalb von zwei Monaten starb, und Molly Hastings, eine englische Schwester, die schon zwei Jahre im Fichtenhain, aber immer noch lieb und nett zu den Patienten war und einen herrlichen Humor hatte.
Molly erzählte uns, wie schwer es manchmal wäre, Schwester im Fichtenhain zu sein; daß die Disziplin sich nicht auf die Patienten beschränke; die Schwestern dürften nämlich auf dem Grundstück nicht rauchen, müßten jeden Abend um 10 Uhr 30 zurück sein, hätten drei Abende in der Woche zum Unterricht zu gehen und stünden Tag und
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