Einmal scheint die Sonne wieder
Schwester zusammen, daß wir ihr fast die Beine an den Knöcheln durchstießen, und sausten durch die Badezimmertür. Sie rammte den Rollstuhl gegen das Bett, und ich kletterte dankbar hinaus und begann mich auszuziehen. Währenddessen füllte Schmalzgesicht meine kleine Wanne mit lauwarmem Wasser und zog dann mit Donnergepolter los, den Flur zurück, um meine Bettwäsche zu wechseln.
Meine neue Badepartnerin war ein Mädchen mit grauer Gesichtsfarbe, Zahnstocherbeinen und ohne Stimme. Sie hieß Beryl Hanford, war sehr krank und völlig auf Schweigen gesetzt, redete aber unaufhörlich. Während wir uns das Gesicht wuschen, flüsterte mir Beryl heiser ihren Namen zu; daß sie Kehlkopf-, Lungen-, Darm- und Nierentuberkulose hätte; daß sie fände, der Fichtenhain stänke; das Essen im Fichtenhain stänke; die Schwestern stänken; daß sie fände, die Ärzte im Fichtenhain stänken; und die Eier im Fichtenhain stänken. Sie sagte: „Ich esse nur, was Chet mir von zu Hause mitbringt. Gestern hat er mir ein ganzes gebratenes Hühnchen und zwölf Schokoladenéclairs (sie nannte sie iiiclairs) mit gebracht, und das ist alles, was ich bis nächsten Donnerstag essen werd.“
Ich fragte sie, wie sie es fertigbekäme, Essen in ihrem Nachttisch aufzuheben, da das streng verboten war. Sie sagte: „Och, ich wickel das alles in meine reinen Schlafanzüge.“ Ich erkundigte mich, wie sie Tb bekommen hätte, obwohl es mir wirklich ganz gleich war, und ich fand, sie verdiene es. Sie erzählte: „Ich hab in einer Schokoladenfabrik gearbeitet und Pralinen in Schokolade getaucht, und eines Tages hatte ich einen Blutsturz.“ Auf meine Frage, ob sie Husten gehabt hätte, sagte sie: „O Gott, ja. Jahrelang. Ich hab mir nie was dabei gedacht.“ Ich dachte mir was dabei; ich dachte an all die Pralinen, die sie in Schokolade getaucht und mit Bazillen beniest hatte.
Beryl war so dumm, so unbeteiligt, so undankbar, daß Schmalzgesicht im Vergleich mit ihr wie ein gnädiger Engel wirkte, als sie mich herumstieß und mich schließlich in meinen sauberen Pyjama zwängte, obwohl ich noch ganz feucht und seifig war und mich, als ich ins Bett zurückklettern wollte, losreißen und -zerren mußte, als wäre ich in Leim getaucht worden. Ich erzählte Kimi von Beryl. Sie sagte: „Ach, die kenne ich. Mit der war ich ein paarmal beim Röntgen. Die ist häßlich und dumm und wird bald sterben. Mit ihrer Kehlkopf-Tb erstickt die sicher,“ schloß sie vergnüglich.
Am nächsten Tag kam Kimi zum erstenmal zum Haarwaschen. Eigentlich sollten uns einmal im Monat die Haare gewaschen werden, aber wenn zu viele neue Patienten kamen und die Schwestern sehr beschäftigt waren, mußten wir manchmal sechs Wochen warten. Eine Haarwäsche im Fichtenhain hatte absolut nichts gemein mit einer Haarwäsche im Friseurladen, wo Wellen eingelegt, Locken gesteckt werden und das Haar in Form gebracht wird. Eine Haarwäsche im Fichtenhain bestand in Einreiben mit grüner Seife, flüchtigem Spülen und gründlichem Trocknen mit dem starken Föhn. Was man hinterher mit seinem Haar anstellte, blieb einem selbst überlassen.
Kimi riß mit zorngerötetem Gesicht den Kamm durch ihr dickes, schwarzes Haar. „Wie ein Strohbesen sieht das jetzt aus. Das krieg ich doch nur mit ’ner Brennschere lockig.“ Sie setzte sich eine Wollmütze über und hob sich den Zucker von ihrem Abendbrottablett auf. Als an dem Abend das Licht ausgemacht wurde, machte sie sich in ihrem Glas eine Lösung aus Wasser und Zucker zurecht, feuchtete ihr Haar darin an und drehte die Strähnen auf Wickler auf. Am nächsten Morgen mußte sie die Wickler losreißen und meinte, ihr Haar zu kämmen sei genau so wie „Unkraut jäten“. Um die Sache noch schlimmer zu machen, bestand das Ergebnis nicht in weichen Locken, wie Kimi gedacht hatte, sondern es sah eher so aus, als seien ausgeleierte Spiralfedern über ihren Kopf verteilt. Da man sofort merkte, daß sie mehr mit ihrem Haar angestellt hatte, als es nur zu kämmen und zu bürsten, mußte Kimi den ganzen Tag ihre Kapuze tragen.
Es war einer der Tage, an denen der Regen stoßweise auf uns herunter geschüttet wurde, als sprenge ein Riese Wäschestücke ein, und am Abend waren unsere Kissen und alles oberhalb der Decke feucht. Sehr feucht sogar. Kimi wollte ihre Kapuze abnehmen, bevor sie einschlief, stellte aber fest, daß sie an ihrem Haar klebte. Sie riß sie wütend ab, und an den spiralartigen Locken blieben kleine blaue Wollfetzen hängen. Sie
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