Einmal scheint die Sonne wieder

starrte düster auf ein großes schwarzgerahmtes Motto, das lautete: „Es ist schön, Geld zu haben und die Dinge, die mit Geld zu kaufen sind – aber es ist auch schön, von Zeit zu Zeit einmal in sich zu gehen und sich zu überzeugen, daß man etwas von den Dingen besitzt, die nicht mit Geld zu kaufen sind.“ – „Wie zum Beispiel Tuberkulose,“ dachte ich bitter.
    Ich wurde allmählich der Mottos und Sprüche und erhebenden Gedanken sehr überdrüssig, und als die Minuten vorbeischlichen und hinter den weißen Vorhängen kein menschlicher Laut zu vernehmen war, nur gelegentlich ein Klappern von Metall oder das Geräusch fließenden Wassers, wurde ich immer unruhiger und besorgter. Was taten die da hinten? War irgend etwas schiefgegangen? Warum sagte niemand was?
    Ich schob meinen Rollstuhl ein wenig zurück, geriet dadurch aber nur einem anderen Motto gegenüber: „Wer sich Verdruß leiht, zahlt seinen Zins in Sorgen.“ Mir war zumute wie Eileen, und ich hätte am liebsten gebrüllt: „Welcher Knoten hat sich das ausgedacht?“ Gerade da teilten sich die Vorhänge, und es erschien die kleine Miß Teetassen-Kavernen von meinem ersten Ausflug ins Badezimmer. Sie verabschiedete sich von dem Chefarzt und Miß Welsh und wurde von einer Schwester aus unserer Station in Empfang genommen, die kurzerhand von meinem Rollstuhl Besitz ergriff.
    Miß Welsh deutete uns an, daß der fiebrige Jüngling als nächster drankäme und ich mich neben Goldzahn auf eine Bank zu setzen hätte. Ich war vor lauter Angst wie betäubt. Pneumothorax! Stillegung der Lunge! Ich war überzeugt, daß ich ersticken würde. Mit quälender Deutlichkeit erinnerte ich mich, wie ich einmal, als ich zwölf Jahre alt war, versucht hatte, zwischen den gekreuzten Stützen eines Sprungbretts durchzukraulen und auf einmal festgeklemmt war. Ich sog in tiefen Zügen Luft in meine Lungen, als ich an das schreckliche Erstickungsgefühl dachte und an die langen, atemlosen, furchtbaren Minuten, bis Cleve mich losmachte.
    Daß jeder mir gesagt hatte, beim Pneumothorax spüre man nichts, hätte keinen Schmerz, konnte mich nur wenig trösten. Hatte mir nicht jeder auch gesagt, Kinderkriegen sei genau wie eine leichte Verstopfung? Verstopfung vielleicht, aber die Art, die man bekommt, wenn man eine Zementmühle verschluckt hat. Ich konnte jetzt die Wand sehen, die vorher in meinem Rücken gewesen war; sie bildete den Hintergrund für ein weiteres Motto: „Schweige, wenn dein Wort nicht besser sein kann als dein Schweigen.“ Offenbar hatte irgend jemandes Mutter zuviel in Bartletts „Geflügelten Worten“ gelesen. Ich beschloß, sowie ich nach Hause kam, mein Exemplar zu verbrennen.
    Die dünne Blonde fing an zu husten, legte jedoch zuerst säuberlich ihr Schiffchen aus der Hand und hielt sich ein Papiertaschentuch vor den Mund. Als sie fertig war, steckte sie das benutzte Taschentuch in einen Umschlag aus dick gewachstem Papier, steckte den Umschlag in ihre Jackentasche und nahm dann wieder ihr Schiffchen zur Hand. Ich spürte, wie ein Hustenreiz in meiner Luftröhre aufkam. Ich schluckte angestrengt und konzentrierte mich auf „Ein Husten läßt sich unterdrücken“, denn in meiner hysterischen Aufregung hatte ich meinen Wachspapierumschlag und saubere Taschentücher vergessen. In dem Behandlungsraum war es sehr warm, und während ich meinen Husten unterdrückte, merkte ich, daß eine dunkle, ungesunde Röte mein Gesicht überzog. Eine Schwester öffnete die Tür zum Flur und sah zu uns herein. Offensichtlich war weder die Blonde noch ich die Person, die sie suchte, denn nachdem sie ein oder zwei Minuten argwöhnisch auf mein rotes Gesicht gesehen hatte, machte sie wieder die Tür zu.
    Das Schiffchen der Blonden faszinierte mich. Es schnellte in das rosa Bißchen hinein und wieder heraus wie eine Libelle in eine Stockrose. Das rosa Ding war eine viereckige Spitze und schien eine Trägergarnitur zu werden. Auf Wochenmärkten hatte ich oft solche Trägergarnituren in den Auslagen gesehen, und ich konnte mir diese hier gut in fertigem Zustand vorstellen, wie sie mit ihrer schreienden Farbe an der oberen Kante eines viel zu kurzen weißen Baumwollunterrockes saß, der schräg geschnitten war und an den Knien einfiel.
    Endlich tauchte Miß Welsh wieder hinter dem Vorhang auf und winkte mir. Mein Herz sprang wie wild vor Angst, aber ich kam in die Höhe und schritt beherzt auf sie zu. Was es auch war, ich war entschlossen, es auf mich zu nehmen und