Einmal scheint die Sonne wieder
wieder in den Flur hinaus und zu der Frauenseite, wo alle zusammenrückten, um mir Platz zu machen.
Die Frau neben mir stickte auf ein kastanienbraunes Samtkissen mit hellorangenem Faden: „Kommst du ans Ende eines vollen Tages.“ Gleich hinter dem Wort „kommst“ hatte sie schon die Hälfte einer großen Apfelsine gestickt, aus der Stacheln herauspiekten. Ich wunderte mich lange darüber, bis sie das Kissen herumdrehte und ich merkte, daß die stachelige Apfelsine eine Sonne darstellte, die hinter einem kastanienbraunen Horizont unterging. Voller Tag sprach mit einem Mädchen, das oben auf dem Kopf einen großen Tuff loser Locken hatte und jedesmal beim Sprechen mit den Augen blinzelte. Sie häkelte etwas aus ungebleichtem Garn. Voller Tag Sagte: „Ich hab Donnerstag mit Bill gesprochen, und er hat gesagt, daß die Oberschwester Mervin nicht zum Zahnarzt schicken will, weil er sowieso sterben müßte und die Anstalt bei ihm für Plomben kein Material verschwenden will.“ Lockenhäufchen blinzelte und sagte: „Und ich hab gehört, daß die armen Dinger in der Vierbett-Station bei den Bettlägerigen glatt verhungern, und die Oberschwester bloß lacht, wenn sie noch mal was nachhaben wollen.“ Voller Tag sagte: „Ein wahres Wunder, daß hier einer lebend rauskommt.“
Das Mädchen auf der anderen Seite von mir machte eine Stoffpuppe. Eigentlich sollte es eine der langbeinigen französischen Sofapuppen werden, aber offenbar war kein Muster vorhanden, denn das Mädchen hatte den Körper genau so lang und dünn gemacht wie die Arme. Das Ergebnis sah wie ein Tintenfisch aus. Ein zäher Übeltäter von Tintenfisch mit einem Gesicht, das auf der einen Seite ganz herunter gezogen war, und hellorangenem Haar, das von seinem spitzen Kopf abstand. Das Mädchen befestigte einen Arm, und während sie ihn annähte, erzählte sie ihrer Nachbarin auf der anderen Seite von dem Blutsturz, den sie am Abend, bevor sie in den Fichtenhain gekommen sei, beim Essen gehabt hätte. „Eine ganze Tasse voll Blut,“ schloß sie triumphierend, und ich staunte, wie und wo sie das abgemessen hatte.
Alle Gespräche drehten sich um Operationen, Blutstürze, ambulante Patienten, die wieder auf Bettruhe gesetzt waren, und bettlägerige Patienten, die in die Ambulanten-Abteilung kommen sollten. Ich sagte zu Voller Tag: „Mein Himmel, hier sehn doch alle wirklich gesund aus!“ Sie schielte mich an, während sie ihr Orangegarn einfädelte, und meinte: „Lassen Sie sich nicht täuschen, Kindchen, die roten Backen sind Tb-Röte und bedeuten bloß Bazillen.“
Stoffpuppe beugte sich über mich hinweg und sagte: „Hazel, gestern war ich zum Abhorchen, und wenn es okay ist, krieg ich sechs Stunden und meine Kleider. Mutter sagt, sie kleidet mich von oben bis unten neu ein.“ Voller Tag antwortete: „Kindchen, ich drück dir ja die Daumen, aber ich würde nicht damit rechnen. Henry Weller war letzte Woche zum Abhorchen, und heute früh haben sie ihn in die Bettenstation zurückgeschickt.“ Stoffpuppe meinte: „Wirklich? Der arme Junge!“ Dem Andenken des armen Henry zu Ehren nähten beide ein oder zwei Minuten schweigend weiter.
Ein sehr anziehendes, blauäugiges, schwarzhaariges Mädchen winkte mir zu. Da sie durch etwa zehn Personen von mir getrennt unten auf der Bank saß, mußte ich mich Vorbeugen, wenn ich mit ihr reden wollte. Da ich beinah die Nadel von Voller Tag dabei ins Auge bekam, rückte das dunkelhaarige Mädchen neben mich. Sie stellte sich vor: „Ich heiße Sheila Flannigan, und mein Bruder Red ist mit Ihrer Schwester Mary ins College gegangen.“ Ich sagte: „Tatsächlich? An Red erinnere ich mich ja, aber woher wußten Sie, daß ich hier draußen bin?“ Sie erzählte mir, daß sie es von Molly Hastings gehört habe; daß sie seit drei Monaten im Fichtenhain sei, aufstehen dürfe und am anderen Ende der Bettlägerigen-Abteilung in einem Zimmer mit einer früheren Klassenkameradin meiner Schwester Alison liege. Mir ging langsam auf, daß meine Schwester Mary recht hatte, und „praktisch jeder Tuberkulose hat“.
Als sie meinen Blick auf das Kissen von Voller Tag bemerkte, sagte Sheila: „Das ist Beschäftigungstherapie, müssen Sie wissen. ,In jedem von uns steckt ein kleines Stück von einem Künstler!‘“ ahmte sie jemand mit einer hohen, quiekenden Stimme nach. Ich sah mir das kastanienbraune Kissen an und dachte: „Aber wie schrecklich wenig bei manchen Leuten.“ Dann kam der Röntgenmann mit dem Rollstuhl
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