Einmal scheint die Sonne wieder
Röntgenstation führenden Tunnels ausgefahren hatten, hörten wir was, das wie das Zirpen und Zwitschern von vieltausend nistenden Vögeln klang. „Durchleuchtungspatienten,“ erklärte der Röntgenmann. Der Lärm wurde fast betäubend, als wir die letzte Ecke umfuhren und auf etwa achtzig Patienten trafen, Männer und Frauen, die, allerdings reinlich nach Geschlechtern getrennt, auf Bänken an den Tunnelwänden saßen und auf die Durchleuchtung warteten.
Der Röntgenmann schob meinen Rollstuhl an die Tür des Laboratoriums und ließ mich da kaltblütig stehen, den Bänken und achtzig Fremden zugekehrt, die sofort ihre Unterhaltung abbrachen und mich ungeniert mit ihren Blicken maßen. Ich kam mir vor wie ein pickeliges Mauerblümchen und dachte immerzu an meine grauen Lippen und mein ungekämmtes Haar, schlug darum die Augen nieder und betrachtete die Fingernägel meiner zitternden linken Hand.
Als endlich die Unterhaltung wieder einsetzte, war ich überzeugt, daß sie sich weitgehend um mich drehte; aber ich vermochte jetzt hochzusehen und meine Beobachtungen zu machen. Die meisten Patienten waren jung, unter und Anfang Zwanzig, wirkten robust und sehr gesund. Die weiblichen Patienten der Ambulanten-Abteilung waren geschminkt und hatten Lockenfrisuren, die etwas außer Mode waren. Wie weit, das bestimmte sich nach der Länge der Zeit, die die Patientin schon im Fichtenhain war, und nach dem, was modern gewesen war, als sie kam. Die meisten Frauen beschäftigten sich mit irgendeiner Handarbeit, und Stricknadeln, Schiffchen, Häkelhaken und Sticknadeln flitzten und schossen, während sie sich unterhielten.
Die Männer saßen nur da. Dadurch wirkten sie trauriger und kränker als die Frauen. Alle Patienten hatten Bademäntel oder Morgenröcke an. Die der Frauen reichten bis auf die Erde und hatten frische Farben: Korallenrot, Türkis, Blaßgrün, Hellrot, Stahlblau, Lavendel, Gelb und natürlich Magenta-Rot. Die Mäntel der Männer waren kurz und dunkel: staubiges Dunkelblau, Kastanienbraun, Erdfarbe und Grau. Alle Männer waren gekämmt und gut rasiert; sie waren im Grunde genau so dick und rotwangig wie die Frauen, hatten ebenso klare Augen, aber sie gaben sich nicht die gleiche Mühe, gesund und glücklich auszusehen. Sie saßen gedrückt da, sahen so tatenlos und niedergeschlagen wie möglich aus und husteten und spuckten unaufhörlich. Das brachte mich auf den Gedanken, ob wohl für die bettlägerigen Männer eine andere Beschäftigungstherapie als Spucken vorgesehen sei.
Aus früheren Erfahrungen mit kranken Männern wußte ich, daß keine Form von Beschäftigungstherapie bei ihnen eine sehr begeisterte Aufnahme findet, da die natürliche Reaktion des Mannes auf jede Art Krankheit darin zu bestehen scheint, daß er versucht, was er als Ekel zu leisten und wieviel Widerstand er gegen alle Formen von Behandlung aufzubieten vermag. Aber selbst die Sensation, sich als Ekel zu geben, muß nach einem Jahr an Reiz verlieren, und mir schien, für diese großen, untätigen Hände hätte es eine Beschäftigung geben müssen. Etwas, das ein Lächeln auf die traurigen, gedrückten Gesichter bringen, die Eintönigkeit der Tuberkulose mildern könnte.
Ich überlegte gerade, was dieses Etwas sein könne, als sich die Tür zum Röntgenlaboratorium auftat und Miß Welsh mir zuwinkte, meinen Rollstuhl in stockdunkle Finsternis stieß, mir den Morgenrock und die Schlafanzugjacke auszog und ein Tuch um meine Schultern legte. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich dort mehrere Ärzte sitzen, mit dem Gesicht zum Durchleuchtungsapparat und mit dem Rücken zu mir.
Rechts von dem Apparat öffnete sich eine Tür; ein Mädchen kam herein, das sie schnell hinter sich schloß. Sie setzte sich vor den Apparat und ließ dabei das Tuch von den Schultern gleiten. Ein summendes Geräusch setzte ein, und ich konnte ihre Rippen und Lungen sehen. Mir schienen sie ganz gesund zu sein, aber der Laborant fuhr bei ihrer rechten Lunge mit dem Finger über die Platte, und die Arzte murmelten sich unverständliche Dinge zu. Sie befahlen ihr, den Arm zu heben und zu senken.
Als sie wegging, war ich an der Reihe. Der Laborant fragte mich nach meinem Namen, der Stationsarzt suchte meine Karte heraus, der Laborant fuhr auf der Platte mit seinem Finger über meine linke Seite, man befahl mir, meinen Arm zu heben und zu senken, die Ärzte murmelten unverständliche Dinge miteinander, und es war vorbei. Miß Welsh brachte mich
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