Einmal scheint die Sonne wieder
aus. Eine von ihnen hatte eine Leber, die auf ihre Mandeln drückte; die andere eine Gebärmutter, die an einem Faden hing. Eine einen eingewachsenen Zehennagel; die andere eine lose Krone auf dem einen Zahn. Eine von ihnen hatte Aufstoßen, die andere Schmerzen, weil sie keins hatte. Bei der einen war die Stirnhöhle so verstopft, daß sie keine Luft bekommen konnte, bei der anderen lief ein leerer Gang vom einen Ohr zum anderen, durch den kalte Luft pustete, so daß sie unter Ohrenschmerzen und anderen Beschwerden litt. Die eine hatte Flüssigkeit in der Lunge die abgesaugt werden mußte; die andere hatte einen Pneumothorax. Beide waren überzeugt, daß sie verkehrt behandelt wurden und falsche Medikamente bekamen.
Die eine Frau hatte eine warme, mütterliche Stimme und sprach von ihren Organen wie von lieben Freunden. „Der alte Herr Gallenblase treibt’s heut morgen wieder toll!“ sagte sie manchmal gleich nach dem Frühstück. Oder: „Alle meine kleinen Därme sind heute vollgestopft, ich glaub, sie haben den Salat gestern abend nicht gemocht.“ Ich konnte mir ausmalen, wie der alte Herr Gallenblase mit seinem Stöckchen auf ihre Leber hämmerte und alle ihre kleinen Eingeweide mit umgebundenen Lätzchen sich um den Tisch drängten und den Salat verschmähten.
Die inneren Organe der anderen Frau waren lauter kleine Maschinen, die nicht funktionierten. Sie war überzeugt, wenn die Oberschwester ihr bloß irgendwas geben würde, um ihre Galle anzutreiben, würde die Galle die Räder in ihrer Leber in Bewegung setzen, die Räder in ihrer Leber würden die Kolben in ihrem Magen in Gang bringen, die Kolben in ihrem Magen würden Flüssigkeit genug erzeugen, um die Därme anlaufen zu lassen, die sich wiederum aus Dankbarkeit dafür um ihre Gebärmutter winden und verhindern würden, daß die auf den Boden fiel.
Was mich wunderte, war, wie die beiden Frauen überhaupt Tuberkulose bekommen hatten, denn wie aus ihrer Unterhaltung hervor ging, hatten sie, bevor sie in den Fichtenhain kamen, viele Jahre hindurch jeden Tag außer dem Sonntag in den Sprechzimmern verschiedener Ärzte verbracht und waren so vertraut mit allen Bazillen, daß sie die Tuberkelbazillen hätten erkennen und wie Mücken zerklatschen müssen.
Ich war überrascht, als ich das erstemal die Besucher von Freundliche Organe sah. Natürlich hatte ich gedacht, daß die sich genau so langweilig über Operationen und Symptome unterhalten würden wie sie. Aber das war nicht der Fall. Es waren tüchtige, aufgeweckte Frauen mit glanzlosem, schwarzgefärbtem Haar, schwarzen Sealmänteln, hellem Rouge, mit Filzhüten, die Schirme hatten wie Polizistenmützen, und großen Lackledertaschen. Ihre lauten, munteren und von schallendem Gelächter unterbrochenen Gespräche gingen ausschließlich über Pokerpartien, Biertrinken und Leute namens Chet, Murphy und Vera. Wenn sie fortgingen, war die Luft um Freundliche Organe voll vom Moschusduft von Tuberosen und Gardenien, und die Luft um mich von Bildern der Besucher, wie sie daheim in ihren Einzimmer-Stadtwohnungen Bier tranken, Konservenbüchsen mit Bohnen öffneten und von Chet oder Murphy ins Hinterteil gekniffen wurden.
An den Tagen, an denen die Pokerspieler Freundliche Organe nicht besuchten, erschien ein kleiner, ganz in Schwarz gekleideter Mann und stand die zwei Stunden steif am Fußende ihres Bettes, wie ein Ausrufungszeichen. Ich vermutete, daß es ihr Mann sei, konnte mir aber nicht vorstellen, wie er mit Chet, Vera und Murphy zusammenpaßte.
Die Frau mit den Maschinchen-Eingeweiden hatte einen Mann und einen Sohn, die an jedem Besuchstag kamen. Sie waren blaß wie Austern, ganz gleich gekleidet - braune Mäntel mit Gürteln, gelbbraune Filzhüte, gelbe Schweinslederhandschuhe - und sahen wie Einbrecher aus. Daher war ich überrascht, eines Tages, als mein Besuch sich verspätet hatte und plötzlich für kurze Zeit Stille eintrat, den alten Einbrecher mit freundlicher, zärtlicher Stimme fragen zu hören: „Was hat’s denn heut zu Mittag gegeben, Sarachen?“ Sara klagte: „Wieder Kohl, und ich bin ganz aufgebläht.“ Der Sohn sagte: „Mein Gott, Mama, du weißt doch, daß du Kohl nicht vertragen kannst. Der stößt dir immer auf,“ und der alte Einbrecher: „Haben sie irgendwas für deine Stirnhöhle getan, Liebling?“ Liebling senkte das Kinn auf die Brust, rülpste, klopfte sich auf den Magen, sah ihren Mann anklagend an und sagte: „Sieh bloß! Kohl! Das reine Gift für mich.“
Jeden
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