Einmal scheint die Sonne wieder
klink, klink, klink. Anscheinend kam es vom unteren Ende des Flurs, wo die Privatzimmer lagen. Eleanor flüsterte: „Irgendwas ist passiert. Ich höre einen Arzt.“
Ich geriet in eine Panik und dachte natürlich, daß es Eileen schlechter ginge. Das Klopfen auf den Nachttisch wurde lauter, eindringlicher. Jetzt waren alle wach. Ein leises Summen von Stimmen setzte ein, das langgezogene Zischen von Geflüster. Die Fahrstuhltür klappte wieder. Das Klopfen auf dem Nachttisch klang jetzt gebieterisch, bang, bang, bang. Niemand beachtete es.
Schließlich kam der Morgen, ein dunkler, aufgeregter Morgen, Wind und Regen peitschten und schlugen gegen die Fenster. Auf der Station herrschte bedrückende Stille. Die Tagschicht kam munter und lebhaft zur Arbeit und brachte Frühstück. Ich goß zwei Tassen warmen, stärkenden Kaffee herunter, konnte aber das Grauen der vergangenen Nacht nicht abschütteln. Ich hatte das Gefühl, als sei ich in einem dunklen, staubigen Keller gewesen und Spinnweben und Moder hingen mir noch an.
Als ich den Flur hinunter ins Badezimmer ging, glaubte ich etwas Verdecktes, Unheimliches zu spüren. Das Flüstern hatte etwas Verstohlenes an sich. Im Badezimmer hörte ich von einer älteren Patientin, daß während der Nacht in der Unfallstation ein Mädchen gestorben sei. Ich hatte das Mädchen noch nie gesehen, ich wußte nicht einmal, wie es hieß, aber es war mein erster Todesfall. Das Zutrauen und die feste Hoffnung auf Genesung, die ich langsam in mir auf gebaut hatte, wurden unter mir weggerissen. Ein Schauder durchlief mich, den ich nicht unterdrücken konnte. Meine Fenster hatten ein prächtiges Panorama eingerahmt, den sonnendurchfluteten Himmel, die Berge und das Meer, aber als ich jetzt hinausschaute, sah ich nur die gräßliche, lauernde Fratze eines neugierigen Schufts.
Am Sonntag, dem 18. Dezember, kamen Mutter, Mary und Dede, freudestrahlend und beladen mit Lebensmittelpaketen. Ich nahm ihnen sofort den Wind aus den Segeln und erzählte von dem Mädchen, das gestorben war, von meinen ständigen Todesgedanken. Dede sagte: „Wenn du vorm Tod Angst hast, kommt mir das genau so blöde vor, als wenn ein Stocktauber sich Sorgen macht, daß er seine Stimme verliert.“ Ich entgegnete kühl, daß ich die Anspielung nicht verstünde. Sie sagte: „Mein Gott, hast du denn nicht mal in den Spiegel geguckt? Du bist so dick und gesund, daß man fast Angst kriegt.“ Wir alle lachten, und ich wurde dadurch etwas aufgeheitert.
Dann erzählte ich ihnen von Eileens Blutsturz. Mutter fragte, ob die Sandsäcke eine Strafe seien, und ich erklärte ihr, daß sie die Lungen zusammendrücken sollten. Meine Schwester Mary meinte: „Du wußtest vom ersten Augenblick an, daß Eileen sich gegen alle Versuche gewehrt hat, ihre Tb zu heilen. Der Chefarzt behält sie überhaupt nur hier, weil Tuberkulose ansteckend ist. Schlag jetzt also um Himmels willen diese Grabestür zu, und mach ein vergnügtes Gesicht. Bald ist Weihnachten, und dann wird’s auch wieder Frühling!“
Der Spruch auf unseren Tabletten hieß an jenem Abend: „Sonne im Herzen belebt das Gemüt, und beständige Freude macht die menschliche Natur zu einem blühenden Garten.“ Wenn ich mich an dies Wort hielt, wußte ich nicht recht, wo ich mit meinem Garten bleiben sollte. Eleanor war eine blühende Fläche von etwa fünf Morgen.
Als die Oberschwester nach dem Abendbrot durch die Zimmer ging, sagte sie, daß wir Namen ziehen und kleine Weihnachtsgeschenke austauschen sollten, daß wir keine Weihnachtsbäume haben dürften, nicht einmal künstliche, weil das den Schwestern zu viel Arbeit mache. Sie erzählte, daß die Anstalt die Stationen schmücken werde; daß alle Geschenke, die uns von draußen geschickt würden, erst desinfiziert werden müßten.
Da ich die Wirkung der Desinfektion an meinen Bettjacken und Schlafanzügen gesehen hatte, wußte ich, daß sich die Auswahl meiner Geschenke damit auf Gegenstände aus Stein beschränkte, aber das war mir gleich. Weihnachten war immerhin nicht mehr weit, und ich lieh mir von Eleanor einen zwei Jahre alten Katalog und spazierte einen glücklichen Abend über zwischen Pflügen und Parfüms herum. Diese Nacht schlief ich ganz durch und wurde niemals wieder von Todesgedanken gequält.
Am nächsten Nachmittag erfüllten zwei Schwestern, was die Oberschwester vorausgesagt hatte, und schmückten die Stationen. Ich hatte mich auf Zedernzweige und Kiefernzapfen gespitzt und wartete atemlos, daß
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