Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
verboten, einschließlich Blinzeln, Winken, Lächeln oder Zettelschreiben, wie mir die kleine Schwester mitteilte, als sie mich an einem Tisch vorn im Saal neben dem Ausgabeschalter absetzte. Sie erzählte mir auch, daß der Speisesaal wie ein Selbstbedienungsrestaurant betrieben würde; daß die Patienten sich zur Essensausgabe anstellten (Männer und Frauen auf den entgegengesetzten Seiten des Raumes), ihre Tabletts selbst trügen, ihre Teller säuberten und zusammenstellten und die Tabletts an den Schalter zurückbrächten; aber in der ersten Woche würden mich Schwestern bedienen.
    Sie ging fort, um eine andere Patientin zu holen, und ich saß am Tisch und beobachtete, wie die Patienten in den Speisesaal einzogen. Manche trugen Morgenröcke, manche Kleider, alle waren rundlich, alle hatten klare Augen und sahen gesund aus. Ich stellte fest, daß ich die meisten weiblichen Patienten kannte, da sie entweder mit mir in der Bettlägerigen-Station gewesen waren oder ich ihnen begegnet war, wenn sie Waschwasser austeilen oder die Blumen besorgen mußten. Alle waren sehr freundlich, kamen an meinen Tisch und gratulierten mir. Ich konnte mich an das merkwürdige, so köstliche Geräusch der Unterhaltungen gar nicht gewöhnen und fuhr immer wieder zusammen und sah mich nach einer Schwester um, wenn jemand mich ansprach. Die Stimmen blieben gedämpft, und man hörte weder lautes Gelächter noch einen anderen Ausbruch von Heiterkeit, aber es war über alles Begreifen wunderbar, dabeizusitzen, wenn das Essen von Gesprächen begleitet war und nicht mehr von kaltem Schweigen und tadelnden Blicken.
    Auch Sylvia saß mit mir am ersten Tisch, immer noch so dünn wie ein Spatz, aber glückstrahlend über ihre Aufstehzeit. Sie war seit zwei Tagen in der Ambulanten-Station, und ich fand, daß der Chefarzt für diese Leistung eine Ehrenmedaille verdiente.
    Dann kam Kate, lächelnd, aber etwas düster. Sie erzählte mir, daß sie auf der Nordseite der Station untergebracht sei, in einem Zimmer mit einer großen, fetten Wehleidigen, die sich ständig beklagte. „Sie glaubt sogar, daß ihre Augäpfel sich verhärten,“ sagte Kate, „und sie…“ – „Schscht,“ sagte Sylvia, als eine untersetzte ältere Frau mit grauem Haar und einem Mund, der wie umgedreht aussah, so tief waren die Winkel herabgezogen, auf einen Stuhl an unseren Tisch gesetzt wurde.
    Die untersetzte Dame ließ sich nieder, nicht ohne den Tisch erheblich ins Wanken und Sylvias und meinen Tee zum Überschwappen zu bringen, dann zog sie aus ihrer Bademanteltasche und baute vor ihrem Platz auf: zwei Lebertranfläschchen, zwei runde Plättchen Kalzium mit Pfefferminzgeschmack, einige ovale schwarze Pillen und ein paar kleine rote Pillen. „Der Arzt hat mir befohlen, diese Medikamente zu nehmen,“ seufzte sie, „aber wo die Schwestern so flüchtig sind, denke ich immer, daß ich was Schreckliches riskiere. Woher weiß ich, daß dies die richtigen Pillen sind? Woher weiß ich, daß manche nicht Gift enthalten?“ Sie nahm sie jedoch alle, rollte die Augen und schluckte, wenn jede unten angekommen war. Ich mußte an Steine denken, die in einen Brunnen geworfen werden.
    Als sie die letzte Pille nahm, erschienen Sheila und Kimi als Nachzügler im Speisesaal und kamen begeistert vor Freude an unseren Tisch. Sie trugen noch ihre Morgenröcke, erzählten mir aber, daß sie beide sechs Stunden auf sein dürften und hoffentlich in einer Woche ihre Kleider anziehen könnten. Während wir uns unterhielten, wurde der untersetzten Dame ihr Tablett hingestellt. Darauf stand ein kleines Glas mit Arznei, die sie auf Anweisung der Schwester nach dem Essen nehmen sollte.
    Kimi griff vor, nahm die Medizin hoch, hielt sie sich an die Nase, schnüffelte daran und sagte: „Das riecht, als ob da ein Schild mit einem Schädel und gekreuzten Knochen drauf war. Lassen Sie sich die Flasche zeigen, aus der es stammt, Leila. Sie wissen ja, für den Fichtenhain gibt es eine lange Warteliste, und ein leeres Bett ist ein nützliches Bett.“ Leila machte ein Gesicht, als wollte sie jeden Augenblick los weinen, und sagte in einem Ton, der zwischen Wimmern und Jaulen lag: „Bitte, Kimi, bringen Sie mich nicht zum Lachen, Sie wissen, wie ich huste.“
    Sheila erzählte mir, daß ich nach der ersten Woche an einen der Tische geholt werden müßte. Ich fragte sie, wo ich sitzen würde, wenn niemand mich holte. Deswegen solle ich mir keine grauen Haare wachsen lassen, meinte sie, denn solang das

Weitere Kostenlose Bücher