Eins, zwei, drei und du bist frei
sagte mir, ich hätte eine Gehirnerschütterung und eine Beule. Mein Schädel sei unversehrt. Nach dem Abstecher ins Krankenhaus ging ich nach Hause, um zu duschen und mich umzuziehen, und wurde zur weiteren Befragung in einem Streifenwagen zur Polizeiwache gefahren. Ich gab mir redlich Mühe, mir alle Einzelheiten genau ins Gedächtnis zurückzurufen, ausgenommen einer kleinen Erinnerungslücke, was den Schlüssel zu Mos Wohnung und Laden betraf und durch welchen Zufall sich die beiden Türen vor mir aufgetan hatten. Ich sah keinen Grund, die Polizei mit solchen Dingen zu belasten. Besonders, wenn man sie damit auf dumme Gedanken über »unerlaubtes Eindringen« bringen konnte. Schließlich war da noch die Sache mit meiner Waffe, die sich rein zufällig nicht mehr in meiner Tasche befand, als ich auf der Wache eintraf. Dieses Thema wollte ich nicht unnötig mit dem anderen in Verbindung bringen oder mich damit blamieren, daß ich vergessen hatte, das Scheißding zu laden.
Als ich meine Augen schloß, sah ich den Eindringling vor mir. Schwarze Augen, schwere Lider, dunkle Haut, lange Dreadlocks, Schnäuzer und Spitzbart. Ein großer Mann. Größer als ich. Und er war stark. Reaktionsschnell. Was noch? Er war tot. Mausetot. Erschossen, aus nächster Nähe, mit einer 45er in den Rücken.
Das Motiv war unbekannt. Ebenso unbekannt wie der Grund, warum ich verschont geblieben war.
Mrs. Bartle von gegenüber hatte die Polizei gerufen. Zuerst, um zu melden, daß sie ein verdächtiges Licht durch das Schaufenster beobachtet hätte, und dann noch mal, als sie den Schuß hörte.
Morelli und ich traten aus dem Aufzug und gingen die paar Schritte durch den Hausflur zu meiner Wohnung. Ich schloß die Tür auf, trat ein und drückte auf den Lichtschalter. Rex hielt in seinem Lauf inne und blinzelte uns zu.
Morelli warf einen flüchtigen Blick in die Küche, ging von da aus ins Wohnzimmer und knipste eine Tischlampe an. Er schlenderte ins Schlafzimmer, ins Badezimmer und stand nach seinem Rundgang wieder vor mir. »Nur so. Hätte ja sein können«, sagte er.
»Was hätte sein können?«
»Daß sich das Schreckgespenst aus Mos Laden hier versteckt.«
Ich sackte auf dem nächsten Sessel zusammen. »Ich war mir nicht sicher, ob du mir glauben würdest. Ich habe schließlich kein wasserdichtes Alibi.«
»Du hast überhaupt kein Alibi, Schätzchen. Ich habe dich nur deswegen nicht wegen Mordes eingebuchtet, weil ich keine Lust hatte, mich mit dem ganzen Papierkram rumzuquälen.«
Ich hatte keine Kraft mehr, mich darüber zu empören. »Du weißt genau, daß ich ihn nicht getötet habe.«
»Ich weiß gar nichts«, sagte Morelli. »Ich habe nur eine Meinung. Und meiner Meinung nach hast du den Kerl mit den Dreadlocks nicht getötet. Leider liegen keine Fakten vor, die diese Meinung untermauern.«
Morelli hatte Springerstiefel und Jeans und eine schwere Jacke mit beigegrünem Tarnmuster an, die wie ein Uniformteil von der Army aussah. An der Jacke waren viele Taschen und Klappen, und an Kragen und Manschetten war sie etwas abgetragen.
Tagsüber wirkte Morelli drahtig und raubtierhaft, aber manchmal, spät abends, wenn seine Gesichtszüge durch Erschöpfung und einen Achtzehnstundenbart weicher waren, schimmerte die verletzliche Seite an ihm durch. Ich fand den verletzlichen Morelli gefährlich anziehend. Zum Glück zeigte der verletzliche Morelli heute abend nicht sein wahres Gesicht. Heute abend war Morelli ganz der übermüdete Polizist.
Morelli schlenderte in die Küche, hob den Deckel von der Plätzchendose mit dem Bärchenmuster hoch und schaute hinein. »Wo ist deine 38er? Du hattest sie nicht dabei, und in deiner Plätzchendose ist sie auch nicht.«
»Ich habe sie irgendwo verloren«, sagte ich. Gegenüber von Mos Laden, zwei Häuser weiter, versteckt in einer Azalee, wenn er es genau wissen wollte. Als ich zwischendurch zu Hause war, um kurz zu duschen, hatte ich Ranger angerufen und ihn gebeten, die Pistole heimlich für mich zu holen.
»Irgendwo verloren«, sagte Morelli. »Soso.«
Ich brachte ihn zur Tür und schloß hinter ihm ab.
Ich schleppte mich ins Schlafzimmer und ließ mich aufs Bett fallen. Ich blieb liegen mit allem, was ich am Leib hatte, bei brennendem Licht, und schlief erst ein, als die ersten Sonnenstrahlen durch meine Schlafzimmergardine fielen.
Um neun Uhr wachte ich durch heftiges Klopfen an der Wohnungstür auf. Ich blieb eine Zeitlang liegen, in der Hoffnung, das Klopfen würde aufhören,
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