Eins, zwei, drei und du bist frei
wenn ich es nicht beachtete.
»Aufmachen! Polizei!« schrie der Anklopfer.
Eddie Gazarra. Mein zweitbester Freund in der Grundschule, heute Polizist, verheiratet mit meiner Kusine Shirley.
Ich wälzte mich aus dem Bett, schlurfte zur Tür und sah Gazarra aus verquollenen Augen an. »Was ist?«
»Meine Fresse«, sagte er. »Du siehst ja verboten aus. Als hättest du in deinen Klamotten geschlafen.«
Mein Kopf dröhnte, und meine Augen waren verklebt, als hätte jemand eine Ladung feuchten Sand hineingekippt. »Es geht schneller so morgens«, sagte ich. »Erspart einem den ganzen Umstand.«
Gazarra schüttelte den Kopf. »Ts, ts, ts.«
Ich schielte auf die weiße Bäckertüte, die an seiner polnischen Pranke baumelte. »Sind das Doughnuts in der Tüte?«
»Setzen. Eins«, sagte Gazarra.
»Hast du auch Kaffee mitgebracht?«
Er hielt noch eine Tüte hoch.
»Gott segne dich«, sagte ich. »Gott segne deine Kinder und Kindeskinder.«
Gazarra holte zwei Teller aus der Küche, nahm sich die Rolle Papierhandtücher und brachte alles ins Wohnzimmer. Wir verteilten die Doughnuts und den Kaffee und aßen schweigend, bis nur noch ein Fleck Himbeermarmelade auf Gazarras Uniform übrigblieb.
»Also«, fragte ich am Ende, »was soll das hier? Geselliges Beisammensein? Mitleidsbesuch? Solidaritätsbekundung?«
»Alles zusammen«, sagte Gazarra. »Und obendrein der Wetterbericht, den ich dir noch nicht durchgegeben habe.«
»Hoffentlich ist es warm und sonnig.«
Gazarra wischte den Flatschen auf seinem Hemd vorne mit einem zusammengeknüllten Papierhandtuch weg. »Es gibt Leute bei der Polizei, die den Mord von gestern abend dir anhängen möchten.«
»Das ist doch absurd! Ich hatte überhaupt kein Motiv. Ich kannte den Kerl ja nicht einmal.«
»Sein Name ist Ronald Anders. Er wurde am II. November verhaftet. Besitz und Handel mit einer staatlich kontrollierten Substanz und unerlaubter Besitz einer Feuerwaffe. Ist zwei Wochen später nicht vor Gericht erschienen. Eine Verhaftung konnte bis gestern abend nicht vorgenommen werden. Und jetzt rate mal, wer sein Kautionsagent ist?«
»Vinnie.« »Genau.«
Ein Schlag ins Kontor. Niemand hatte mich bisher darauf hingewiesen, daß er ein NVGler war, auch nicht Morelli.
Die Doughnuts lagen mir schwer im Magen. »Was ist mit Morelli? Will Morelli mir auch was anlasten?«
Gazarra stopfte die Papierbecher und Handtücher in eine Tüte und brachte alles in die Küche. »Ich weiß nicht. Ich kenne die Einzelheiten nicht. Ich weiß nur, daß es ratsam wäre, sein Pulver trocken zu halten, für den Fall.«
An der Wohnungstür standen wir uns gegenüber.
»Du bist ein echter Freund«, sagte ich zu Gazarra.
»Ja«, sagte Gazarra. »Ich weiß.«
Ich machte die Tür hinter ihm zu und lehnte mich mit der Stirn an den Türpfosten. Ich spürte Druck auf meinen Augenhöhlen, und der Schmerz strahlte bis in den Schädel aus. Wenn je die Notwendigkeit bestanden hatte, einen klaren Kopf zu behalten, dann jetzt, aber jetzt konnte ich nicht einen einzigen klaren Gedanken fassen. Ich blieb ein paar Minuten so stehen und überlegte hin und her, aber ich hatte keine wundersame Erleuchtung und auch keinen brillanten Einfall. Nach kurzer Zeit merkte ich, daß ich nur gedöst hatte.
Ich überlegte, ob ich unter die Dusche gehen sollte, als es laut an meiner Tür hämmerte. Ich drückte ein Auge an den Türspion. Joe Morelli.
Scheiße.
5
»Mach auf«, sagte Morelli. »Ich weiß, daß du da bist. Ich kann dich atmen hören.«
Das war eine glatte Lüge, denn ich hatte mit dem ersten Hämmern seiner Faust an meine Tür die Luft angehalten.
Morelli kopfte noch mal. »Komm schon, Stephanie«, sagte er. »Dein Auto steht auf dem Parkplatz. Ich weiß, daß du zu Hause bist.«
Mr. Wolesky von gegenüber kam aus seiner Wohnungstür. »Schon mal davon gehört, daß man auch unter der Dusche stehen kann? Oder schlafen? Oder spazierengehen? Ich will in Ruhe fernsehen. Wenn Sie weiter so einen Krach machen, hole ich die Polizei.«
Morelli scheuchte Mr. Wolesky mit einem Blick zurück in seine Wohnung. Rrumms. Klick. Klick.
Morelli bewegte sich von der Tür fort, aber ich wartete ab, klebte mit dem Auge am Türspion. Ich hörte, wie sich die Aufzugstüren öffneten und schlossen, dann herrschte Stille. Eine Gnadenfrist. Morelli zog ab.
Ich wußte nicht, was Morelli von mir wollte, und es schien vernünftig, nicht danach zu fragen – für den Fall, daß es meine Verhaftung bedeutet hätte. Ich
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