Eins, zwei, drei und du bist frei
lief ans Schlafzimmerfenster, schaute durch den Schlitz zwischen den Gardinen und schielte runter auf den Parkplatz. Ich sah Morelli aus dem Haus kommen und in einen Zivilwagen steigen.
Ich beobachtete weiter, aber es geschah nichts. Er fuhr nicht los. Es sah aus, als würde er vom Auto aus telefonieren. Ein paar Minuten gingen vorüber, und mein Telefon klingelte. Ach, du Schreck, dachte ich, wer das wohl ist. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß es Morelli war, ließ ich den Anrufbeantworter eingeschaltet. Der Anrufer hinterließ keine Nachricht. Ich sah wieder hinunter auf den Parkplatz. Morelli telefonierte nicht mehr. Er saß nur da, behielt das Haus im Auge.
Ich sprang schnell unter die Dusche, zog frische Kleider an, fütterte Rex und trat wieder ans Fenster, um zu sehen, was Morelli machte. Er war immer noch da. Dreckskerl.
Ich wählte Rangers Nummer.
»Yo«, sagte Ranger.
»Ich bin’s. Stephanie.«
»Ich habe etwas, das dir gehört.«
»Da bin ich erleichtert«, sagte ich. »Aber im Moment beschäftigt mich etwas ganz anderes. Joe Morelli steht unten auf dem Parkplatz vor meinem Haus.«
»Kommt er oder geht er?«
»Möglicherweise will er mich verhaften.«
»Der Tag fängt ja gut an, Baby.«
»Ich glaube, ich kann mich vorne aus dem Hauseingang schleichen, ohne daß er mich sieht. Wir treffen uns in einer halben Stunde bei Bessie’s.«
»Alles klar«, sagte Ranger.
Ich legte auf, rief das Büro an und fragte nach Lula.
»Ihr Schutzengel«, meldete sich Lula.
»Hier ist Stephanie«, sagte ich. »Ich brauche einen Chauffeur.«
»Oh, geil. Wieder dieser Kopfgeldjägerkram?«
»Du sagst es«, erwiderte ich. »Schon wieder dieser Kopfgeldjägerkram. Hol mich bitte in zehn Minuten vor meiner Haustür ab. Aber stell deinen Wagen nicht auf den Parkplatz. Fahr einfach gemächlich am Haus vorbei, bis du mich am Straßenrand stehen siehst.«
Ich trocknete mein Haar mit einem Fön und sah noch einmal hinunter zu Morelli. Alles beim alten. Er mußte sich einen abfrieren da unten. Noch eine Viertelstunde, und er würde wieder ins Haus kommen. Ich zog den Reißverschluß meiner Jacke hoch, schnappte mir meine Handtasche und ging zu Fuß runter ins Erdgeschoß. Ich durchquerte rasch die kleine Eingangshalle und trat durch den vorderen Hauseingang nach draußen.
Von Lula war nichts zu sehen. Ich kauerte mich mit dem Rücken an die Hauswand, kuschelte mich in meine Jacke. Ich konnte kaum glauben, daß Morelli hergekommen war, um mich zu verhaften, aber man hat schon Pferde kotzen sehen. Jeden Tag werden unschuldigen Menschen die schlimmsten Verbrechen zur Last gelegt. Wahrscheinlich wollte Morelli mich nur noch mal verhören, aber das wäre auch nicht das reinste Vergnügen geworden.
Lula kündigte sich an. Genauer gesagt, ich spürte die Vibrationen in meinen Fußsohlen und in meinem Brustkorb. Der Firebird schob sich neben mich, Lulas Kopf bewegte sich rhythmisch zur Musik, die Lippen im Takt dazu. Dummdada. Dummdada.
Ich sprang auf den Beifahrersitz und bedeutete ihr loszufahren. Der Firebird wurde plötzlich lebendig und schoß wie eine Rakete in den Verkehrsstrom.
»Wo fahren wir hin?« schrie Lula.
Ich stellte die Musik leiser. »Zu Bessie’s. Ich treffe mich da mit Ranger.«
»Ist dein Buick auch im Eimer?«
»Der Buick ist völlig in Ordnung. Mein Leben ist im Eimer. Weißt du schon das mit dem Mord bei Onkel Mo gestern abend?«
»Daß du Ronald Anders alle gemacht hast? Na klar weiß ich das. Weiß doch jeder.«
»Ich habe ihn nicht alle gemacht! Man hat mich k.o. geschlagen. Jemand hat ihn umgebracht, während ich bewußtlos war.«
»Natürlich. Das ist die offizielle Version, aber ich dachte – na, du weißt schon, tot oder lebendig oder wie das immer heißt. Stimmt’s?«
»Nein! Stimmt nicht!«
»Dann eben nicht. Kein Grund, deine prämenstruelle Laune an mir auszulassen. Wieso willst du überhaupt zu Bessie’s gefahren werden?«
»Joe Morelli hat sich auf meinem Parkplatz eingenistet und brennt darauf, mich zu sprechen. Ich bin aber im Moment nicht für ihn zu sprechen.«
»Das kann ich gut nachvollziehen. Auch wenn er einen geilen Arsch hat, bleibt er eben doch ein Bulle.«
Bessie’s war ein Laden, wo es Kaffee und Doughnuts gab, um die Ecke vom Sozialamt. Der Raum war schmuddelig, der Boden dreckig, die Fenster schmutzig, und es war immer gerammelt voll. Hier trafen das Heer der Langzeitarbeitslosen und das Heer der fleißigen Angestellten des Sozialamts aufeinander.
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