Eins, zwei, drei und du bist frei
Steuerrad. »Das Ding auf seinem Dach ist ja wohl kein Teppich. Das ist irgendwas Klumpiges, das er in Müllbeutel gewickelt hat. Ich will lieber nicht laut sagen, was der da auf seinem Dach spazierenfährt.«
Ich hatte den gleichen Gedanken, und die Wahrscheinlichkeit, daß Elliot Harp seine letzte Reise antrat, weckte in mir den Wunsch, in die entgegengesetzte Richtung zu fahren. Ich hatte keinen Bock mehr auf Tote. Mein seelisches Gleichgewicht näherte sich dem Siedepunkt. Es war mir mit viel Mühe gelungen, den Überfall in dem Süßwarenladen zu verdrängen, bei den Bildern der Ermordeten, die vor meinem inneren Auge immer wieder auftauchten, hatte ich weniger Erfolg.
An der Slater Street bog Mo ab. Lula schnitt die Kurve und streifte mit zwei Reifen die Bordsteinkante.
Ich stemmte einen Fuß gegen das Armaturenbrett. »Fahr langsamer! Du bringst uns noch um!«
»Keine Sorge«, sagte Lula. »Ich weiß genau, was ich tue. Ich reagiere blitzschnell, wie eine Katze.«
Mo näherte sich der Wells Avenue, und ich ahnte, wohin er wollte. Er steuerte die Route 1 an. Soll er, dachte ich. Was immer er auf dem Dach hatte, damit würde er uns nie und nimmer entkommen, obwohl ihm seine Fracht mittlerweile höchstwahrscheinlich völlig egal war.
Lula folgte Mo auf die Auffahrt und blieb eine Zeitlang zurück, während er sich in den fließenden Verkehr einfädelte. Wir holten schnell wieder auf und hefteten uns an seine Fersen.
Die dunkelgrüne Plastikplane flatterte wie wild im Wind. Mo hatte das Paket auf dem Autodach befestigt, indem er eine Schnur, die aussah wie eine Wäscheleine, durch die Fenster gezogen hatte. Er wechselte die Spur, und die lange, klumpige Fracht schwang unter dem gespannten Seil hin und her.
»Wenn er nicht aufpaßt, rutscht ihm der Scheißkerl noch vom Dach runter«, sagte Lula. Sie drückte auf die Hupe. »Fahr an den Rand, Piepmatz!« Sie gab ein bißchen Gas und stieß mit dem Firebird gegen seine Stoßstange.
Ich klammerte mich an dem Armaturenbrett fest und schickte Stoßgebete gen Himmel: Heilige Maria, Mutter Gottes, mach, daß ich nicht auf der Route 1 sterbe – mit diesen Haaren auf dem Kopf.
Lula rammte noch mal Mos Stoßstange. Durch den Aufprall sackte mein Kopf nach hinten, und Mos Wagen geriet außer Kontrolle. Er schlingerte vor uns hin und her, eine Schnur löste sich, eine Mülltüte fegte davon und flatterte über unser Auto hinweg.
Lula holte noch einmal Anlauf, aber bevor sie die Stange ein drittes Mal berührte, riß die zweite Schnur, noch eine Mülltüte flatterte davon, und eine Leiche schoß von Mos Dach herunter und landete mit einem lauten Rumms! auf der Motorhaube von Lulas Firebird.
»Iiiihhh!« kreischten Lula und ich gemeinsam los.
Die Leiche prallte von der Motorhaube ab, klatschte gegen die Windschutzscheibe und blieb dort wie eine zerquetschte Fliege kleben. Sie starrte uns mit offenem Mund und weit aufgerissenen, blinden Augen an.
»An meiner Windschutzscheibe klebt eine Leiche!« schrie Lula. »Ich kann so nicht weiterfahren! Das schaffen die Scheibenwischer nicht! Wie soll ich mit einem Toten auf meinen Scheibenwischern weiterfahren?«
Der Wagen hüpfte von einer Spur zur anderen, die Leiche bäumte sich auf, vollführte einen halben Überschlag und landete bäuchlings am Straßenrand. Lula latschte in die Bremse und kam nach einer Rutschpartie auf dem Seitenstreifen zum Stehen. Wir blieben eine Weile still sitzen, die Hand aufs Herz gelegt, unfähig, ein Wort zu sagen. Wir drehten uns um und schauten aus dem Rückfenster.
»Verdammte Scheiße«, sagte Lula.
Das brachte es auf den Punkt.
Wir sahen uns an und verzogen beide das Gesicht. Lula legte den Rückwärtsgang ein und rollte dicht am Straßenrand zentimeterweise zurück. Sie bremste und blieb einen Meter vor der Leiche stehen. Wir stiegen aus und traten vorsichtig heran.
»Wenigstens ist er nicht nackt«, sagte Lula.
»Ist das Harp?«
»Das nehme ich doch an. Schwer zu sagen bei dem großen Loch, wo früher seine Nase war.«
Der Nieselregen war in einen Platzregen übergegangen. Ich strich mir das nasse Haar aus dem Gesicht und zwinkerte mir die Tropfen aus den Augen. »Besser, wir rufen die Polizei.«
»Ja«, sagte Lula. »Gute Idee. Du rufst die Polizei, und ich lege was über die Leiche. In meinem Kofferraum ist eine Decke.«
Ich lief zum Wagen zurück und holte meine Tasche. Ich kramte darin herum, nahm mein Handy heraus, klappte es auf und schaltete es ein. Ein schwaches
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