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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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ausgeliefert vor dem Betrachter kuschen. Und nicht andersrum.
    Der Gedanke, Regina stundenlang ansehen zu können, sie gründlich, behutsam und geduldig mit dem Bleistift zu streicheln, fühlt sich an wie Hunderte von kleinen Nadeln auf seiner Haut.
    Drinnen singt Edith Piaf, bis ihr plötzlich einer die Nadel aus der Seele reißt und das Geräusch des Redens, Gläserklirrens und Lachens zur Hauptsache wird.
    Als wäre sie dadurch erschreckt und in die Wirklichkeit zurückgeholt worden, sagt Regina: «Ich geh mal rein, aber ich komm gleich wieder. Spring inzwischen nicht runter.»
    Nach wenigen Minuten kommt sie wieder. Sig beugt sich auf die Seite und küßt die Stelle des Bodens, auf der sie gesessen hat. Er verharrt in dieser Stellung, bis er sie lachen hört:
    «Mit deiner Art, die Dinge wörtlich zu nehmen, wirst du noch mal in Schwierigkeiten kommen.»
    «Gern», sagt Sig.
    Hinter den Dächern kriecht ein Dalifarbener Morgen hoch. Ein Morgen aus katholischem Violett, benzingelb, hellrosa und der Farbe müder Lachse. Sig und Regina müssen lange hier draußen gewesen sein. Drinnen läuft die Klavierfassung von Bilder einer Ausstellung. Es ist fast fünf Uhr.
    Schon morgen, denkt Sig.
    «Schon heute», sagt Regina. «Laß uns reingehen, dann bleibt es länger nacht.»
    Das Fest ist merklich ausgedünnt. Einige sind schon weg, andere schlafen in irgendeiner Ecke oder sind zu betrunken, um noch ins Gewicht zu fallen. Aber Renny, Heike, Hannes und Markus sind noch da.
    Markus schläft, den Kopf in Heikes Schoß vergraben. Renny sitzt an der selben Stelle auf dem Sofa, wie schon vor Stunden. Trotz seiner Irophilie scheint Hannes nicht betrunken zu sein. Vielleicht hat Andrea vergessen, Glennfiddich oder Guinness zu besorgen. Ganz in der Nähe schläft der Fahrradguerilla in Curds Schoß. Curd rührt sich nicht und blättert leise in einem Buch über Antoni Gaudi.
    Regina will Kaffee auftreiben. Sonst schaffe sie den Weg nach Hause nicht mehr. Sig lehnt sich an die Küchentür und betrachtet die Szene. Es sieht aus wie in einem dieser Klaustrophobie-Filme von Bunuel. Als müßten sie alle hier zusammensein. Als wären die Türen verschlossen und jede Sekunde, in der sich die Leute noch nicht gegenseitig auffressen, eine Gnade.
    Hannes redet auf Heike ein. Er scheint etwas zu erzählen, von dem er überzeugt oder begeistert ist. Seine Gesten holen aus. Der vom Bart freigelassene Rest seines Gesichts ist in Bewegung.
    Renny sitzt daneben und signalisiert mit allem, was sie hat, daß sie ihren Hannes trotzdem liebt. So unsympathisch Hannes ihm ist, angesichts dieses Schauspiels tut er Sig leid. Diese Sorte Frau ist ihm ein Extra-Greuel.
    Ob die Männer über den Gottesbegriff reden und womöglich zugeben, daß sie sich heimlich einen Gott übrigbehalten haben, einen ganz kleinen nur, für alle Fälle, oder ob sie betrunken Charme-oder Witzleichen einsargen; ob sie von Autos, Traktoren oder ihren Schülern reden, deren mechanische Grundkonzeption sie allemal zu verstehen vorgeben; ob sie gestehen, schwärmen oder schimpfen … Es ist egal, was sie tun. Diese Sorte Frau sitzt halb abgewandt daneben, zupft sich ein verzeihend indigniertes Lächeln vom Ärmel und liebt ihren Karl Heinz trotzdem. Er ist halt noch ein großer Junge. Wenn er mich nicht hätte. Ich paß auf ihn auf. Man braucht ihm nicht zuzuhören, hab ich auch noch nie gemacht. Es reicht, wenn man ihn reden läßt. Irgendwann hört er schon von selber auf. Dann kann man sich wieder über die wichtigen Dinge unterhalten. Zum Beispiel, wo es diese tollen Bodystockings gibt.
    Vielleicht das schlimmste an diesen Frauen ist: Sie sind so routiniert, daß sie, falls ihr Mann überraschend zu ihnen hinsieht, sofort den Ich-bin-auch-ganz-Ohr-für-deine-Geschichte-Blick einschalten können. Nahtlos.
    Renny schenkt sogar Sig, als sie zufällig seine Augen erwischt, diesen kumpelsuchenden Einverständnisblick. Er geht sofort in die Küche zu Regina.
    Ihre Freundin Agnes scheint schon weg zu sein, er kann sie nirgends entdecken.
    «Nein, du mußt mich nicht nach Hause bringen», sagt Regina, «ich nehme mir ein Taxi.»
    «Aber darf ich dich nicht bringen?»
    «Nein. Dürfen auch nicht.»
    Sie reicht ihm eine Tasse Kaffee. Sein Blick geht über die von Nudelsalatresten aneinandergeklebten Tellerstapel. Er muß abwaschen helfen. Er schüttelt sich. Regina hat ihren Kaffee ausgetrunken und sagt: «Laß uns das Frühstück vergessen. Ja?»
    «Ich werde keinen Zentimeter des

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