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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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durchwandert ihn diese Erinnerung. Er läßt sie wandern, wohin sie will.
    Ich bin ganz nah dran, denkt er. Er will dem Schicksal zum Dank eine Gegenleistung anbieten. Mach mich blind, wenn du willst. Mit Regina würde ihm auch der Tastsinn reichen. Zum Glück verzichtet das Schicksal auf Bezahlung. Im Augenblick zumindest. Vielleicht hat es das Angebot notiert. Für später mal.
    Am Fenster bewegt sich etwas.
    Eine kleine getigerte Katze. Sie stupst die Nase ans Glas, als gäbe es da was zu riechen. Sig öffnet vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, und sie bleibt sitzen.
    «Ja, hallo, wer bist denn du?»
    Sie schaut ihn an. Er liebt Katzen, und die hier scheint besonders freundlich zu sein.
    «Ich bin eine Katze», sagt die Katze, «das wüßtest du, wenn du schon mal eine gesehen hättest.»
    Für Sig klingt es wie «Miau».
    «Wie heißt du denn, hast du einen Namen?»
    «Wie soll ich schon heißen? Nenn mich Katze. Ich weiß dann schon, wer gemeint ist.»
    Ihre Antwort klingt wie «Miau». Sie läßt sich am Kinn kraulen. «Ich nenn dich Frau Müller. Einverstanden?»
    «Nicht einverstanden», sagt die Katze, «aber laß gut sein. Ich weiß dann schon, wer gemeint ist.»
    Für Sig klingt es wie «Miau».
    «Du wiederholst dich», sagt er.
    Er schüttet etwas Milch in eine Untertasse, und die Katze stakst vorsichtig ins Zimmer. Sie schlabbert die ganze Untertasse leer, um dann mit erhobenem Schwanz an allem zu schnuppern, was ihr begegnet. Es sieht aus, als inspiziere sie die Dinge im Hinblick auf ihre mögliche spätere Verwendung. Und genau das tut sie auch.
    Froh, daß sie vor ihm keine Angst hat, sitzt Sig im Sessel und schaut ihr zu. Er nimmt ihre Zutraulichkeit als Kompliment. Als nähme die Weichheit der Bewegungen und des Fells Einfluß auf die Konsistenz der Luft im Raum, ist es noch einmal so still und friedlich. Sig wird schläfrig. Er fühlt sich aufgehoben.
    Er klappt das Bett runter, wirft die Wäsche auf den Tisch und legt sich auf die unbezogene Matratze.
    Es ist kurz nach drei.
    «Frau Müller–» die Katze schaut wirklich zu ihm –«bitte weck mich, falls ich einschlafe. So gegen halb fünf.»
    «Kräh», sagt die Katze und hüpft aufs Bett. Sie klappt ihre Vorderfüße nach innen und legt sich neben seine Taille. Sie schnurrt und kneift die Augen zu. Manchmal sieht sie ihm direkt ins Gesicht. Als wolle sie sagen, daß sie mit ihm einverstanden sei.
    «Du bist bezaubernd», sagt Sig.
    Sie kneift die Augen zu.
    Regina legt Sonnis Fahrradschlüssel auf den Küchentisch und schlendert durch die Wohnung. Gott sei Dank ist niemand zu Hause. Sie geht durch alle Zimmer und verabschiedet sich innerlich.
    Den Mietvertrag hat sie schon unterzeichnet, also ist alles perfekt. Sie kann nicht mehr zurück. Seltsam, daß Yogi so viel Vertrauen bei den Vermietern genießt. Ist er mit ihnen verwandt? Daß ein so anarchoverdächtiger Sponti Mietverträge abschließt, ist ihr noch nie begegnet. Und sie ist schon durch einige Mietverhältnisse gegangen.
    Zwei Jahre vor dem Abitur zog sie bei ihrer Mutter aus, denn es war nicht auszuhalten. Ihre Wäsche wurde durchstöbert, ihre Telefonate durch den Türschlitz mitgehört, und jeder männliche Besuch wurde auf Herz und Nieren geprüft, ob er es auch ernst meint. Dabei gab es nichts zum Ernstmeinen. In Reginas Himmel lief so gut wie nichts zu der Zeit.
    Gelegentlich kam ein scheuer Mittelfinger, der Strahl des verstellbaren Duschkopfes oder die Sitzkante eines Stuhls zu Besuch. Ganz selten noch der Fahrradsattel und zweimal eine Kerze. Aber das war eher Forschung als Begierde.
    Die Mutter hatte zuviel Phantasie.
    Erst in ihrem eigenen Zimmer, als sie endlich tun und lassen konnte, was sie wollte, ohne von ihrer Mutter verfolgt zu werden, kam der eine oder andere fremde Finger an die Himmelspforte.
    Sie nimmt ein langärmliges schwarzes Baumwollkleid aus dem Schrank, zieht Jeans und Pullover aus und läßt den Büstenhalter fallen. Sie zieht ein schwarzes Seidenhemd und schwarze Strümpfe an und streift das Kleid darüber. Schöne Frau, sagt der Spiegel. Und er hat recht. Sie fährt mit der Handaußenfläche durch die Stirnlocken und lehnt sich aus dem Fenster, um auf Sig zu warten.
    Glücklicherweise war die Katze schon fort, als er zehn vor fünf aufwachte. Sein abrupter Sprung aus dem Bett hätte sie nachhaltig verärgern können.
    Jetzt rast er mit hängender Zunge den Uferweg entlang und hat ein Gefühl, als sei es morgens um fünf und der Tag finge erst an.

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