Einsam, zweisam, dreisam
beherrscht sich. Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps. Das Girl ist Schnaps und muß warten.
Im Restaurant, wo er zum Frühstück vier Rollmöpse verzehrt, sitzen nur uninteressante Business-Assholes. Die haben das gewisse Etwas nicht und lohnen keinen zweiten Blick. Er läßt, wie immer, zehn Mark Trinkgeld auf dem Tisch liegen und fährt mit einem Taxi zu der Druckerei, deren Anschrift er noch gestern abend aus dem Branchenverzeichnis abgeschrieben hat. Dort gibt er seinen Fragebogen in Auftrag und schlendert dann zur Zeitung, um eine Annonce aufzugeben.
Interviewer gesucht für Meinungsumfrage. Großzügige Bezahlung. Treffpunkt Freitag elf Uhr, Hotel Colombi. Zufrieden pfeifend geht er zurück. Er freut sich aufs Mittagessen und den biegsamen blonden Nachtisch.
S onni und Marius schweigen deutlich hörbar in der ganzen Wohnung rum. Auf diese Weise zeigen sie Regina, was sie von ihrer Undankbarkeit halten. Zwar hat Regina sie in diese schöne Wohnung mit hereingenommen, aber trotzdem finden sie es undankbar, daß sie zum Fünfzehnten ausziehen will. Nach allem, was man für sie getan hat.
Ungerührt bewacht Regina das Telefon. Sie hat sich den Apparat ins Zimmer geholt, hört Hindemith und ißt Äpfel. Einen nach dem andern.
Der erste Anruf ist für Sonni. Die starrt in der Küche mit verheultem Gesicht in einen Teller Maggi-Suppe. Wyatt Earp hat sie gestern abend versetzt. Und das, wo sie sich gerade eine LP von Merle Haggard gekauft hat, obwohl sie Cowboygefiedel nicht ausstehen kann. Der Anruf kommt leider nicht aus Dodge City, sondern von einer Freundin, von der sie wohl getröstet werden soll. «Bitte, bring mir den Apparat wieder, wenn du aufgelegt hast», sagt Regina.
Ja, du arrogante Kuh, denkt Sonni und nimmt sich vor, recht lange zu reden. Stoff gibt es ja genug.
Jetzt führe Regina am liebsten doch weg. Aber sie weiß, daß das nichts nützen würde. Alles tut ihr weh. Oder so ähnlich wie weh.
Wieso war sie nicht behutsamer? Sie hätte schon nach der ersten Warnung alarmiert sein müssen. Im Kino, als die Lust so mit ihr durchging, daß sie sich nicht mehr unter Kontrolle hatte, hätte sie schon erkennen müssen, daß sie sich auf rutschigem Boden befindet. Sie hätte wissen müssen, daß sie sich für ihren kühlen Kopf nicht würde verbürgen können. Außerdem hatte Sig auch da schon Angst gehabt. Warum hatte sie nichts daraus gelernt?
Andererseits hatte die Angst von Sig, das Wissen, daß er sich auf Neuland befindet, auch ihre Lust gesteigert. Es gehörte sozusagen dazu. Ein Spiel mit dem Feuer war es allemal, und sie braucht sich nicht zu wundern, daß sie sich die Finger verbrannt hat.
Auch aus ihrem eigenen Schrecken, aus der Scheu, ihm nach dein Kino in die Augen zu sehen, und ihrem Wunsch allein zu sein, hätte sie schon lernen können. Aber sie hat sich einfach weitertragen lassen auf der Welle dieser abenteuerlichen Lust. Zum nächsten Schauplatz.
Je mehr sie an Sig denkt, wie er da stand mit diesen schmalen Schultern und diesem verlorenen Ausdruck um sich, desto mehr empfindet sie Zuneigung für ihn. Liebe.
Sie schlich hinter ihm vorbei, obwohl sie wußte, daß es ihm nicht besser geht als ihr. Aber sie konnte nicht anders.
Auf Demütigungen zu reagieren, hat sie nur diese eine Möglichkeit des Rückzugs, der Flucht, des Positionswandels. Sie kann nur weggehen. Wo ihre Schlagfertigkeit versagt und ihr der Dirigentenstab aus der Hand fällt, muß sie gehen.
Das war schon immer so.
Wie gern hätte sie ihn jetzt im Arm und schnupperte ihm seinen Geruch von den Schultern. Sie könnte ihn hinter den großen Ohren kraulen und seine knochigen Glieder an sich spüren. Aber zuerst muß diese Szene zuwachsen. Das ist vielleicht für ihn noch wichtiger als für sie. Sie ist sich fast sicher, daß er zu denen gehört, die größere Schmerzen leiden, wenn sie kränken, als wenn man sie kränkt.
Sie müßte ihn trösten. Aber wie?
Kurz hintereinander kommen sechs Anrufe, und schon eine Stunde später stehen vier Interessenten vor der Tür. Regina zeigt ihnen das Zimmer und schickt sie dann in die Küche, wo sie von Marius und Sonni auf Zahlungsbereitschaft, Gesinnung und Putzfähigkeit geprüft werden. Ein fröhliches, blasses Mädchen aus Norddeutschland bekommt den Zuschlag.
Regina ist das egal.
Sonni geht in ihr Zimmer, um ungestört weiterzuheulen, und Marius drückt sich geräuschvoll in Reginas Augenmerk herum. Der personifizierte Vorwurf.
Sie nimmt ihr Buch und geht zum
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