Einsam, zweisam, dreisam
lachsroten Rosen! Reginas Mund! Es ist das Bild, an das er sich erinnert fühlte, als er sie zum erstenmal sah.
Nur stimmt so gut wie nichts an seiner Erinnerung. Das Bild ist nicht von einem Präraffaeliten, sondern von einem Symbolisten. Es ist auch keine Rose darauf, sondern drei Lilien. Deren Farbe stimmt immerhin. Die Lilien sind nicht in der Hand des Mädchens, sondern wachsen von irgendwoher aus dem Bildvordergrund, und der Kopf des Mädchens ist nicht trauernd nach vorn gesunken, sondern schaut aufrecht dem Betrachter ins Gesicht.
Nichts, außer daß ein Mädchen und Blumen auf dem Bild sind, stimmt mit seiner Erinnerung überein. Ein schöner Maler ist er. Kann sich nicht mal an ein Bild, das ihn berührt hat, erinnern. Er will das Dali-Bild nicht mehr finden. Bestimmt hat auch das keine Ähnlichkeit.
In einem Edeka-Laden kauft er Brekkies, Milch und Dosenfisch. Hoffentlich läßt ihn die Katze wenigstens nicht im Stich. Diese Nacht kam sie nicht, und er hätte sie so gern neben sich gehabt auf der plötzlich viel zu großen Matratze.
Beim Öffnen der Galerietür sieht er das Paket auf dem Boden und erschrickt. Das muß von Regina sein. Irgendwas Abschließendes, Endgültiges, etwas, das ihn ganz und gar annullieren wird … Er dreht es in den Händen und versucht den Augenblick des Öffnens hinauszuzögern.
Schließlich reißt er seitlich einen Streifen ab und zieht ein Bündel Blätter heraus. Erst als er ein paar Sätze liest, begreift er, daß es die Geschichte sein muß. Ihr Lieblingsbuch.
Sein Herz macht einen Sprung. Es ist die Fortsetzung. Sie will, daß er weiterliest. Sie will, daß es weitergeht. Daß ihre Geschichte weitergeht. Es ist ein Zeichen, daß er Geduld haben soll. Sie hat ihn nicht verlassen.
Da fällt ihm ein, daß er sich noch gewundert hat, daß sie das dicke Buch immer in ihren Korb packte und nie liegenließ. Er legt das Bündel aufs Bett und versucht, sich zu erinnern, wo er ein Postamt gesehen hat. Ihm fällt nur das beim Bahnhof ein. Schnell schließt er die Galerie hinter sich ab und macht sich auf den Weg. Auf dem Telegramm steht außer ihrem Namen und ihrer Adresse nur MEHR . SIG .
Jetzt sieht er, daß der Himmel bedeckt ist. Der Tag ist nicht schön und nicht häßlich. Ein Bitte-umblättern-Tag.
Heidi poltert das Treppchen herauf und macht ein besorgtes Gesicht. «Willst du abreisen?»
Er hat schon beide Koffer gepackt und ist gerade auf einen Stuhl geklettert, um die Bilder höher zu hängen. Es muß aussehen, als nähme er gerade die letzten Reste seiner Habe von der Wand. «Nein, ich hab nur aufgeräumt. Ich zieh um in die Dusche.»
«Ach so.»
Das klingt erleichtert.
«Muß doch Platz schaffen für die wilde Party heut abend.»
«So wild wird die schon nicht. Kultur», sagt Heidi.
«Aber irgend jemand wird doch die Bouzouki dabeihaben, und dann geht’s ab mit Sirtaki und Irish eyes are smiling.»
Sie schaut ihn verständnislos an.
Er sagt, er spiele nur darauf an, daß es doch griechische und irische Landschaften seien, die Hans Doppelname-Bindestrich ausstelle.
Jetzt schaut sie mißtrauisch.
«Was ist daran falsch?»
«Nichts», sagt er, «aber wer schwört mir, daß es nicht böhmische Dörfer und spanische Bahnhöfe sind?»
«Wollen Sie damit sagen, daß irgend jemand hier nichts von Kunst versteht?»
«Irgend jemand. Ja.»
«Und wer?»
«Ich. Im Zweifelsfall immer ich.»
Sie scheint das nicht sehr witzig zu finden. Es hat doch sehr den Anschein, als wolle Sig ihrem verehrten Hans etwas am Zeug flicken.
«Wenn Sie das meinen, was ich glaube, daß Sie meinen», sagt sie in für sie ungewöhnlich präzischem Deutsch, «dann neige ich der Ansicht, Sie verstünden nichts von Kunst, sogar zu.»
«Danke», sagt Sig.
«Malen aber schöne Bilder.»
«Danke», sagt Sig.
Gut, denkt er, wenn sie mich nicht soo gern hat. Weniger Zutrauen, weniger Verantwortung. Ich will hier nicht alt werden.
«Soll ich mal mit den Butterbrezeln anfangen?»
Er will ihr auch nicht die Laune verderben. Er hat kein Recht, über B.B. zu spotten. Soll der doch malen, was er will. Er tut ja niemandem weh damit.
Aber vielleicht ist es das gerade?
«Um Gottes willen», sagt sie, «die trocknen doch aus, wenn Sie sie jetzt schon streichen.»
Er soll Servietten kaufen. Als er damit zurückkommt, deutet sie auf das Fenster seines Zimmers und fragt: «Putzen oder Vorhang vor?»
«Vorhang vor», sagt er.
Bald ist alles fertig. Die Brezeln machen sie erst gegen
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