Einsame Herzen
Luft. Plötzlich wurde ihr so kalt, dass sie die Arme um ihren Körper schlang, als wolle sie sich selbst wärmen.
Darko musterte sie herausfordernd, ein spöttisches Funkeln in den Augen.
"Überleg dir deine Antwort gut, Mäuschen. Dies ist mein einziges Angebot. Ich kümmere mich um euch und als Gegenleistung krieg ich dich. Ich verhandle nicht. Wenn du nicht willst, wirst du dich an einen anderen Mann wenden müssen."
Mit diesen Worten stapfte Darko zur Küchentür, riss sie auf und verschwand in den Korridor. Die Haustür fiel mit einem Knall hinter ihm ins Schloss.
Danielle blieb benommen in der Küche zurück. Das nannte Darko ein
Angebot
? Es verstiess gegen jede Sittlichkeit, verletzte jeden Anstand und jede Moral. Das war kein Angebot, so was nannte man
Erpressung
!
Danielle hörte die Kinderfüsse erst, als sie die Küche schon fast erreicht hatten. Sie zwang sich, aus ihren Gedanken aufzutauchen, sprintete zur Anrichte, packte das, was vom Reh übrig geblieben war und verstaute es im Kühlschrank. Dann wischte sie schnell das Blut von der Anrichte. Sie hatte das Gröbste gerade beseitigt, als Louise eintrat.
"Ma?"
Danielle wirbelte herum. Ihr Atem ging heftig und Schweiss perlte auf ihrer Stirn. Sie versuchte, die Erinnerung an Darko, die sich hartnäckig in ihre Gedanken stahl, zu verbannen und sich auf Louise zu konzentrieren.
"Louise, hab ich euch nicht nach oben geschickt?"
"Irgendwann müssen wir doch wieder runterkommen, Mama", konterte Emma, die hinter Louise auftauchte, pragmatisch.
"Mama? Emma sagt, wir hätten nichts mehr zu essen."
Danielles überraschte Augen hefteten sich auf Emma. Danielle hatte den Kindern ihre Sorgen nicht anvertraut, doch Kinder waren klüger, als man ihnen zugestand. Emma musste gespürt haben, dass etwas nicht stimmte.
Emma erwiderte Danielles Blick schuldbewusst, als hätte sie ihrer Schwester ein Geheimnis anvertraut, das sie nur mit ihrer Mutter hätte teilen sollen.
"Emma meinte, der Mann habe deshalb das Reh gebracht. Um uns zu helfen. Wir haben nichts mehr zu essen und können auch nichts mehr kaufen, da der Weg aus den Felsen zugeschneit ist. Stimmt das, Mama?"
Danielle seufzte schwer. Sie überlegte, was sie den Kindern sagen sollte, wie viel sie ihnen mitteilen konnte.
"Natürlich haben wir genügend zu essen", log sie glatt. "Unsere Vorräte sind etwas knapp, das ist alles. Darum hilft uns auch Darko Coda aus, unser Nachbar, der eben hier war. Er hat uns etwas von der Jagd mitgebracht."
Louise und Emma starrten ihre Mutter an, als hätte sie ihnen eben erzählt, der meterhohe Schnee draussen entspringe nur ihrer Einbildung.
"Aber Mama, wir essen doch kein Fleisch!"
Danielle seufzte innerlich auf. "Das ist richtig, Louise. Das ist richtig. Diesen Winter jedoch machen wir eine kleine Ausnahme, ja?"
"Dann haben wir also wirklich keine Vorräte mehr", flüsterte Emma betreten.
Louise sah ihre Mutter erschrocken an.
Danielle seufzte. Wenn ihre Kinder bloss nicht so viel mitkriegen würden! Sie wollte die beiden nicht unnötig beunruhigen.
"Macht euch bitte keine Sorgen, ja? Darko ist ein...ähm... netter Mann. Er wird uns schon helfen."
"Sicher?"
Danielle erkannte am misstrauischen Blick ihrer Tochter, dass Darko bei Louise nicht unbedingt einen netten Eindruck hinterlassen hatte.
"Aber natürlich Liebling. Wie spät ist es?" Danielle warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. "Himmel, schon nach acht Uhr. Wer will eine Geschichte hören?"
Wenig später sassen sie im Wohnzimmer vor dem Kamin. Emma hatte ein kleines Feuer in Gang gebracht, während Danielle und Louise die alte Couch ausgezogen und in ein Bett verwandelt hatten. Sie hatten das Liegesofa mit frischen Leintüchern bezogen und Decken und Kissen aus den Schlafzimmern geholt.
Auf Danielles Vorschlag hin hatten die Kinder und sie beschlossen, die Nacht gemeinsam im Wohnzimmer zu verbringen. Danielle hatte gespürt, dass sie Emma und Louise nicht gänzlich hatte beruhigen können und sich die Kinder im Stillen Sorgen um ihre Situation auf dem Feuerberg machten. Um diese Sorgen zu vertreiben, hatte Danielle vorgeschlagen, die Nacht gemeinsam am warmen Feuer im Wohnzimmer zu verbringen. Das würde den Mädchen Sicherheit und Geborgenheit vermitteln und gleichzeitig sie, Danielle, selbst beruhigen. Seit Darko ihr sein "Angebot" unterbreitet hatte, war sie so sprunghaft und nervös wie eine überdrehte Heuschrecke. Einmal mehr wanderten Danielles Gedanken zu dem zweifelhaften Angebot zurück. Unwillkürlich malte
Weitere Kostenlose Bücher