Einsame Herzen
durchkämmen das Haus nochmals. Sie kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben."
Rufend suchten sie jeden Winkel nach Louise ab, doch sie erhielten keine Antwort und fanden sie auch nicht. Draussen setzte bereits die Dämmerung ein. Ein kalter Schauder lief Danielle über den Rücken. Wenn Louise im Haus nicht zu finden war, musste sie irgendwo da draussen sein. In der Kälte der anbrechenden Nacht.
Hastig zog sie Mantel und Stiefel an. Emma tat es ihr wortlos gleich. Stumm rannten die beiden nach draussen, stapften durch den Schnee und riefen aufgeregt nach Louise.
Der Abend blieb still.
Es war nichts zu hören ausser dem Echo ihrer eigenen Stimmen. Ihr Atem bildete kleine Wölkchen in der Luft, der Abendhauch überzog ihre Wangen mit einem kühlen Rot.
Spätestens jetzt bekam Danielle es mit der Panik zu tun. Ihre Beherrschung war verflogen. Wo war Louise? Sie befand sich irgendwo da draussen im kalten Schnee, einsam und verlassen. Vielleicht war sie gestürzt, hatte sich eine Verletzung zugezogen. Sie könnte hilflos am Boden liegen, nicht in der Lage, sich fortzubewegen. Möglicherweise befand sie sich ganz in der Nähe des Hauses, fand aber nicht mehr die Kraft, zu sprechen. Kalte Angst rann Danielle über den Rücken, als sie und Emma vergebens die kleine Rodelpiste auf und ab gingen.
"Ich suche nach ihr", sagte Danielle schliesslich zu Emma. "Du gehst ins Haus zurück."
Emma schüttelte den Kopf. "Ich möchte dir helfen."
"Nein!", sagte Danielle scharf. "Du gehst zurück ins Haus."
"Aber Mama, ich möchte..."
"Tu was ich sage, verdammt nochmal!"
Danielle bereute ihre heftigen Worte sofort, als sie Emmas entsetzten Gesichtsausdruck und die Tränen in ihren Augen sah. Sie schrie ihre Kinder fast nie an, schon gar nicht Emma, die eindeutig geschockt war über den Wutausbruch ihrer Mutter. Emma blieb einige Sekunden wie erstarrt stehen, wandte sich dann abrupt ab und rannte ins Haus zurück, so schnell sie konnte.
Danielle schloss die Augen und holte tief Luft. Sie würde sich bei Emma entschuldigen müssen, doch jetzt war keine dazu. Zuerst musste sie Louise finden.
Danielle lief den Hang hinauf und hinunter, schrie nach Louise, bis sie heiser wurde. Kein Regung, kein Lebenszeichen von ihrer Tochter.
Was sollte sie tun? Hier draussen war sie ganz auf sich allein eingestellt. Es gab niemanden, den sie um Hilfe bitten konnte, keine Polizei, die sie hätte verständigen können.
Danielles Beine gaben unter ihr nach. Sie liess sich zitternd in den Schnee fallen. Sie musste ihre Tochter finden, doch sie hatte keine Ahnung, wie sie das tun sollte. Es gab diverse Fussspuren im Schnee, die in alle Himmelsrichtungen führten, doch Danielle konnte noch nicht mal sagen, welche alt und welchen neu waren. Wenn sie allen Spuren folgen wollte, wäre sie noch morgen damit beschäftig, nach Louise zu fahnden. Ausserdem wurde es immer dunkler und sie hatte nichts, das ihr Licht spendete. Der Mond war an diesem Abend nichts mehr als ein schwacher Silberstreifen am Himmel, auf dessen Hilfe sie nicht zählen konnte. Eine Taschenlampe besass sie auch nicht.
Sie stellte sich Louise vor, die verletzt im Wald lag, sich nicht bewegen konnte.
"Oh, Louise", flüsterte Danielle. "Wo bist du bloss? Wo bist du bloss hin? Sag doch was, Louise!"
Doch Louise schwieg.
Mit einem Schluchzer rappelte Danielle sich auf. Sie hatte kaum mehr als eine Viertelstunde nach Louise gesucht und schon hatte sie der schwere Schnee völlig erschöpft. Mit schweren Schritten und weichen Knie stapfte sie in Richtung Wald, direkt auf Darkos Haus zu. Sie zitterte vor Erleichterung, als sie endlich seine Haustür erreichte. Heftig klopfte sie dagegen.
Darko öffnete Sekunden später. Sein breiter Körper füllte die ganze Haustür aus. Seine blauen Augen blickten erstaunt und fragend auf sie hinunter.
Als sie Darko sah, konnte sich Danielle nicht länger zurückhalten. Ihre Lippen begannen zu beben und Tränen kullerten ihre über die Wangen. Sie brachte kein Wort hervor, weinte nur bitterlich.
"Um Himmelswillen, Danielle. Was ist los? Was ist geschehen? Bist du verletzt?"
In diesem Moment dachten weder Darko und sie an die Vergangenheit. Die Szene in ihrer Küche, wo sie ihn unmissverständlich abgewiesen hatte, war in diesem Moment ausgelöscht, nicht existent. Darko zog sie ins Haus, warf die Tür hinter sich ins Schloss. Er wollte schon ihren Mantel aufknöpfen, womöglich, um sie auf Verletzungen zu untersuchen, oder einfach um sie von dem schweren Stoff zu
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