Einsame Herzen
nur unter der Bedingung, dass er sie liebte, bei sich bleiben zu lassen?
Hier draussen in der Einsamkeit galten nicht dieselben Regeln wie in der Zivilisation. Was man wollte, musste man sich holen. Wollte sie der Einsamkeit entfliehen, müsste sie Darko zu sich zurückbitten. Dabei ging es nicht um Zuneigung, schon gar nicht um Liebe. Wenn sie sich unerklärlicherweise in Darko verliebt hatte, so war das ihr Problem. Sie musste allein damit zurechtkommen. Tatsache war jedoch, dass sie jemanden an ihrer Seite brauchte, wollte sie in dieser weissen Einöde nicht gänzlich den Verstand verlieren.
Emma und Louise hatten einander, um sich Gesellschaft zu leisten, sich zusammen die Zeit zu vertreiben. Sie aber war ganz allein, fühlte sich mit jedem Tag einsamer und verlassener. Erst jetzt wo Darko nicht mehr bei ihr hauste, erkannte sie, was es für ein Gewinn es gewesen war, ihn bei sich zu haben.
Sie sollte ihre albernen Gefühlsduseleien begraben und sachlich und nüchtern handeln. Sie brauchte Darko, um Sicherheit und Geborgenheit zu finden. Er brauchte sie, um sein körperliches Verlangen zu stillen. Warum also sollten sie sich nicht zu einer Zweckgemeinschaft zusammenschliessen, solange der Winter andauerte? Sie hatte beide nicht die Möglichkeit, die Erfüllung ihrer Wünsche bei jemand anderem zu finden, also konnten sie sich genauso gut zusammentun. Es gab wirklich keinen Grund, sich das Leben unnötig schwer zu machen.
Schweratmend lehnte Danielle die Schaufel, mit der sie den Felsenpfad hatte freilegen wollen, an die Hausmauer. Danach trat sie ins warme Haus. Sie schälte sich aus Schuhen und Mantel, streifte Mützen und Handschuhe ab.
Was sollte sie nun tun? Darko sagen, dass sie ihre Meinung geändert hatte? Wenn sie auch nur daran dachte, einen Schritt in Richtung seines Hauses zu machen, wurde ihr bereits mulmig zumute. Nie würde sie den kalten, düsteren Blick vergessen, den er ihr zugeworfen hatte, als sie ihm erklärt hatte, sie käme gut alleine zurecht. Sie konnte unmöglich einfach an seine Tür klopfen und ihm sagen, sie hätte es sich nun doch anderes überlegt. Bestimmt würde er ihr einfach die Tür vor der Nase zuknallen.
Danielle ging ins Wohnzimmer, liess sich schwer aufs Sofa fallen.
Wie bloss sollte sie Darko mitteilen, dass sie ihn trotz ihrer anfänglichen Vorbehalte doch brauchte? Dass sie ihn bis zum Frühling bei sich wünschte? Bis zu dem Tag, an dem sie und die Kinder den Feuerberg verlassen würden. Bis zu dem Tag, an dem ihr Herz in Tausend Stücke brechen würde.
Danielle hob eine Hand an ihre zitternden Lippen. Genau aus diesem Grund hatte sie Darko auf Distanz halten wollen. Um ihr Herz vor ihm zu schützen. Wenn sie sich in ihrer gegenwärtigen Situation aber einen Gefallen tun würde, würde sie nicht an die Zukunft denken, ihren Stolz begraben und Darko zu sich bitten.
Als Danielle Stunden später das Abendessen zubereitete, grübelte sie noch immer angestrengt darüber nach, mit welchen Worten sie sich an Darko richten sollte. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie erschrocken zusammenzuckte, als Emma in die Küche platzte.
"Was kochst du, Mama?"
"Kartoffelstock, Liebling. Sei so gut und deck den Tisch ja?"
Emma tat wie ihr geheissen, während Danielle den Kartoffelstock umrührte. Sie hatte ihn aus den im Keller gelagerten Kartoffeln zubereitet, die Darko ihr gebracht hatte. Er hatte sich Kartoffeln für eine ganze Armee angeschafft. Sie würde diesen Winter noch so manchen Kartoffelstock zubereiten können.
Als Emma den Tisch gedeckt hatte, bat Danielle sie, nach Louise zu rufen. Danielle trug die Pfanne mit dem Essen ins Wohnzimmer. Sie setzte sie gerade ab, da kam Emma erhitzt ins Wohnzimmer gerannt. "Mama? Wo ist Louise?"
Danielle blickte Emma fragend an. "Was meinst du damit? Wo ist Louise? Ihr habt doch draussen zusammen gespielt, oder?"
Die beiden hatten sich am Nachmittag eine kleine Rodelpiste oberhalb des Hauses gestampft. Bis zum Abend waren sie mit ihren Schlitten über die kleine Piste gefahren.
"Ja, wir waren draussen. Aber ich bin ohne Louise ins Haus zurückgekehrt. Sie wollte noch weiterrodeln, aber ich hatte allmählich genug."
"Sie ist nicht mehr draussen?"
Emma schüttelte den Kopf.
"Hast du im Haus nach ihr gesucht?", fragte Danielle mit erster, leiser Angst in der Stimme.
Emma nickte. "Ich hab sie überall gesucht. Auch im Klo und im Keller."
Danielle schluckte, zwang sich ruhig zu bleiben, um Emma nicht zu verunsichern. "Komm, wir
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