Einsame Spur (German Edition)
Niederlage wahrscheinlich schon früher akzeptiert und ihn verlassen, wenn … er mir nicht das Leben gerettet hätte.«
Sie war in einen wild tobenden Sturm hinausgegangen, auf der Suche nach einem vermissten Kind, als ein Baum auf sie gestürzt war. Mit gebrochenem Bein und ausgekugelter Schulter war sie in einen Fluss gefallen, der gefährlich angeschwollen war, und hatte sich prompt den Kopf an einem Stein angeschlagen. Benommen und desorientiert hatte sie Wasser in die Lunge bekommen.
»Martin wäre als Kind beinahe ertrunken und hatte fürchterliche Angst vor Wasser, aber er war mir nachgegangen, weil er sich Sorgen gemacht hatte, und ist in den reißenden Strom gesprungen, um mich zu retten.« Doch das war noch nicht das wichtigste Puzzleteil ihrer verkorksten Beziehung. »Er zog mich ans Ufer, doch als er selbst aus dem Fluss steigen wollte, traf ihn ein großer Stein, zerschmetterte ihm fast alle Rippen und beschädigte innere Organe. Er war länger in der Krankenstation als ich.«
Riaz setzte sich auf und strich ihr über den Rücken. »Er hat es benutzt, um dich zu halten, nicht wahr?«
Erst jetzt sah sie die Tätowierung auf Riaz’ linker Schulter und fuhr mit den Fingerspitzen darüber. »Wahrscheinlich nicht absichtlich, aber er hat es getan.« Der Druck war so wenig wahrnehmbar gewesen, dass sie ihn lange nicht bemerkt hatte. »Jedes Mal, wenn ich unsere Beziehung beenden wollte, fühlte ich mich schuldig, weil ich einen Mann verlassen wollte, der sein Leben für mich riskiert hatte.«
Nach dem endgültigen Aus hatte sie sich immer gefragt, warum Martin noch immer an der Beziehung festgehalten hatte, als längst klar war, dass sie getrennt voneinander glücklicher sein würden. Aber wenn Riaz’ Vermutung zutraf, war sie von Martin auf eine Weise geliebt worden, die sie nicht erwidert hatte … das erklärte vieles, auch wenn es keine Entschuldigung war für die Verletzungen, die er ihr zugefügt hatte.
»Für Treue muss man sich nicht schämen.« Riaz’ warmer Atem auf ihrer Haut.
»Nein … aber wenn man es zu weit damit treibt, kann es ein Fehler sein.« Sie strich über seine Schulter, und als ein Schatten des Verstehens über sein Gesicht glitt, lächelte sie reumütig. »Im Nachhinein ist man immer schlauer, nicht wahr?«
Er rieb seine Wange an ihrer. »Das ist ja der Mist.«
Wieder lächelte sie. »Nun, das war’s mit dem Rückblick«, sagte sie und schmeckte Salz und Zitrus auf seiner Haut, ein Hauch bitterer Schokolade in dem verführerischen Kuss. »Ich bin bereit, in der Gegenwart zu leben.«
Diesmal liebten sie sich, als würden sie miteinander tanzen.
Lange Küsse, die nicht enden wollten, ihre sehnsüchtigen Hände auf seiner festen Brust, deren feine Haare wie eine sinnliche Liebkosung ihrer Brüste waren, und ein langsamer, inniger Ritt. Er bäumte sich unter ihr auf, weiß traten die Nackenmuskeln unter der braunen Haut hervor, als er ihre Hüften fester umfing.
Nie hatte sie sich so schön gefühlt und so sehr als Frau.
28
Im grellen Licht der Leichenhalle betrachtete Kaleb den Toten auf dem kalten Metallgestell vor sich. Vor vier Stunden hatte man die Leiche entdeckt und den Fund sofort als äußerst wichtig eingestuft. »Schlussfolgerungen?«, fragte er Aden. Der Arzt der Pfeilgarde war für Autopsien an im Kampf gefallenen Gardisten ausgebildet und hatte die Aufgabe selbst übernommen.
»Todesursache ist ein gebrochenes Genick«, antwortete Aden. »Untersuchungen am Tatort lassen darauf schließen, dass er ausgerutscht und die Treppe hinuntergefallen ist.«
So etwas konnte vorkommen und hätte nicht die Aufmerksamkeit der Pfeilgarde erregt, wenn das Opfer nicht ein Anker gewesen wäre. Die Todesumstände von Ankern wurden stets von Gardisten untersucht, selbst wenn Altersschwäche in Betracht kam. Da Mediale der Kategorie A vollkommen im Medialnet aufgehen konnten, waren sie zu wichtig für das geistige Netzwerk, um Fehler zu riskieren.
Anker hatten viele Funktionen, hauptsächlich dienten sie jedoch der Stabilität des Medialnet, hielten es an seinem Ort. Nur durch sie konnten Mediale aus der ganzen Welt in dem geistigen Netzwerk vollkommen unbesorgt reisen.
Der Tod des Mannes auf der Stahlpritsche hatte zu kleineren Erschütterungen geführt, doch sobald er aus dem Medialnet verschwunden war, hatten die Sicherungen dafür gesorgt, dass kein größerer Schaden entstehen konnte. In dem betroffenen Gebiet hatten die Medialen allerhöchstens leichte Kopfschmerzen
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