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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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Trostlosigkeit über diesen Ländern im Osten, die sie durchreisten, besonders über den Vororten, diesen tristen Wohngegenden, die sie sich nie anschauten, durch die sie nur durchbrausten, und sie dachte, dass diese geplanten Busreisen sicher den einen oder anderen radikalen Reisegast dazu bringen würden, umzudenken. Vielleicht war das ja auch Tomas’ Absicht, sollte er mit dem Busunternehmen irgendwelche anderen Absichten hegen, als ein wenig Geld zu verdienen. Was man nicht wissen konnte, vielleicht wusste er es selbst nicht. Sie fragte nicht, sie hatten genug mit sich selbst zu tun und damit, das zu reparieren, was seit dem Oktober kaputtgegangen war. Eines Nachts in Prag liebten sie sich das erste Mal seit einem halben Jahr, ja, es war eigentlich noch länger her, ihre vorsichtigen Versuche im Januar und Februar verdienten kaum die Bezeichnung Beischlaf.
    Es war draußen in einem Park: ein leicht gewagtes, impulsives Abenteuer im Schutz eines Gebüschs. Sie hatten die anderen im Bus auf dem Campingplatz allein gelassen und machten anschließend einen langen Spaziergang durch die Stadt. Über die Karlsbrücke und oben um die Burg und die Kathedrale. Die Luft war warm, sie kauften sich in einer Bar, die immer noch geöffnet hatte, obwohl es bereits halb ein Uhr nachts war, Würstchen und tschechisches Bier, und Gunilla dachte, dass nicht einmal der härteste värmländische Frost allem widerstehen kann. Wenn man nur beschließt weiterzuleben, dann kehrt das Leben zu einem zurück.
    Zurück zum Campingplatz nahmen sie ein Taxi, es dauerte eine Weile, eines zu finden, kostete aber fast nichts, und als sie schweigend in ihr Lager ganz vorne im Bus krochen, kam Tomas noch einmal zu ihr.
    Sie verbrachten drei Tage in Prag, dann ebenso viele in Ungarn, an verschiedenen Orten rund um den Balatonsee. Anschließend ging es zurück durch die Tschechoslowakei und nach Österreich. Der Bus lief wie ein Uhrwerk. In einem Supermarkt in der Wiener Neustadt machte Germund einen Fund; er kaufte drei Einliterflaschen Stroh Rum, achtzigprozentig – und das in einem Lebensmittelladen, alle waren sich einig, dass das eine Sensation war –, und von diesem Abend an machten sie es sich zur Gewohnheit, am Lagerfeuer Jägertee zu trinken. Der war stark, süß und lecker, und eine Tasse genügte, um ein wenig betrunken zu werden. Zumindest, was Gunilla und Anna betraf, und zweifellos half auch er bei der Eisschmelze.
    Am Vormittag des 4. August überquerten sie bei Graz die Grenze nach Jugoslawien, erreichten gegen sieben Uhr abends eine Stadt, die Osijek hieß, und beschlossen, hier für zwei Nächte zu bleiben. Am kommenden Tag hatte Tomas Geburtstag. Etwas Leckeres, gern ein Tier irgendeiner Art, gegrillt über offenem Feuer, und eine angemessene Menge Bier, das war alles, was er sich zu diesem Ereignis wünschte, und niemand hatte gegen diesen Plan etwas einzuwenden.
    Obstsalat mit Sahne und Stroh Rum zum Nachtisch. Keine Torte, das war kleinbürgerlich.
    Sie fuhren morgens gemeinsam nach Osijek hinein, um Proviant zu besorgen. Es gelang ihnen, den Bus in einer Straße neben dem alten Marktplatz mitten in der Stadt zu parken, dann machten sie sich in zwei Gruppen auf, einzukaufen. Maria, Germund und Tomas in der einen, Gunilla, Anna und Rickard in der anderen. Als Gunillas Gruppe mit ihren Einkäufen fertig war, waren die anderen noch nicht zurück zum Bus gekommen, und so entschied sich Gunilla zu einem kleinen Spaziergang allein. Sie ließ Rickard und Anna an einem Cafétisch zurück und streifte durch verfallene alte Gassen im Stadtkern. Nach nur wenigen Minuten kam sie auf einen kleinen Marktplatz mit einer Kirche, deren Türen offen standen.
    Ein paar Sekunden lang zögerte sie, bevor sie sich doch entschloss hineinzugehen. Normalerweise ging sie nicht in Kirchen, aber hier war etwas mit der Sonne, die ihre Strahlen durch das dunkle Tor lenkte, was sie anzog. Fast, als würde sie ihr den Weg weisen. Sie dachte, dass es besonders merkwürdig war, in eine Kirche zu gehen in einem Land, dessen offizielle Doktrin besagte, dass alle Religionen von Übel waren, und es als Ziel ansah, sie abzuschaffen.
    Aber sie waren nicht abgeschafft, weder die Gebäude an sich noch der Glaube selbst. Vielleicht war es eine Frage der Zeit, was sie sich jedoch nur schwer vorstellen konnte. Eine Welt ohne Glauben, ohne Kirchen? Oder zumindest eine halbe Welt, wenn diese Spaltung zwischen Ost und West für ewig bestehen bleiben sollte.
    Drinnen saßen

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