Einsamen
gelassen. Die Straße, auf der sie standen, war eng und verlassen, große, verdunkelte Gebäude rahmten sie von beiden Seiten ein, gut dreißig Meter vor ihnen war ein offenes Gittertor zu erkennen und davor irgendwelche schwach erleuchteten Warnschilder. Rickard verstand, dass Germund deshalb angehalten hatte. Es war eine Sackgasse, man kam ganz einfach nicht weiter, sondern musste wen-
den.
»Fahr weiter«, sagte Tomas. »Wende. Hier können wir nicht stehen bleiben.«
»Ich habe keine Lust weiterzufahren«, erwiderte Germund. »Und warum nicht hier übernachten?«
»Hier?«, fragte Gunilla. »Sag mal, spinnst du? Hier können wir ja wohl nicht bleiben.«
»Ist doch egal, wo wir anhalten, der Bus bleibt derselbe«, sagte Germund. »Oder wolltest du draußen schlafen?«
»Ich dachte, wir wollten irgendwo was essen«, sagte Anna.
»Wie viele Restaurants hast du gesehen, seit wir in dieser Geisterstadt sind?«, fragte Germund.
»Aber es muss doch einen Campingplatz geben«, meinte Tomas. »Schließlich ist Timisoara eine große Stadt.«
»Ich habe noch nie ein traurigeres und feindlicheres Loch gesehen«, sagte Maria. »Herrscht hier der Ausnahmezustand oder was?«
»So, jetzt reißen wir uns mal zusammen«, sagte Tomas. »Dann müssen wir uns eben durchfragen. Willst du, dass ich übernehme, Germund?«
»In Ordnung«, sagte Germund und schälte sich vom Fahrersitz. »Aber ich verstehe immer noch nicht, was so schlimm daran sein soll, hier stehen zu bleiben. Wir haben Bier und Obst zum Abendessen. Und ich kann mich nicht erinnern, irgendwelche Lebensmittelgeschäfte gesehen zu haben. Und die Abendtoilette auf dem Bürgersteig, andre Länder, andre Sitten.«
»Ich sehe keinen Bürgersteig«, sagte Gunilla.
»Dann musst du eben bis morgen warten«, erwiderte Germund und setzte sich ganz hinten in den Bus.
Krise , schrieb Rickard Berglund in sein Tagebuch und klappte es zu.
Bevor Tomas den Bus wieder startete, saßen Rickard und er eine Weile mit ausgebreiteter Karte vor sich da. Sie sollte einen Stadtplan von Timisoara darstellen, sie hatten sie an der Grenze gekauft, aber nach fünf Minuten gaben sie auf. Es waren keine Campingplätze verzeichnet und auch sonst nicht viel, und sie wussten nicht, in welchem Teil der Stadt sie sich befanden.
»Ich fahre da vorne durch das Tor und wende«, sagte Tomas. »Wir müssen ein wenig improvisieren.«
»Ich weiß nicht, ob es so schlau ist, auf das Gelände zu fahren«, merkte Gunilla an. »Diese Schilder bedeuten doch auf jeden Fall, dass wir nicht willkommen sind.«
»Ich sehe nirgends irgendwelche Wachtposten«, sagte Tomas. »Ich will ja auch nur wenden.«
Er startete, und langsam rollten sie durch das offene Gittertor. Direkt dahinter befand sich ein offener Platz zwischen einigen Blechbaracken, er stieß zurück, um wieder hinausfahren zu können, doch noch bevor er den Bus auf die richtige Spur manövriert hatte, waren sie von vier Männern in irgendeiner Art schwarzer Militäruniform umringt. Zwei von ihnen standen direkt vor dem Bus und zielten mit ihren automatischen Waffen auf Tomas.
»Kalaschnikows«, sagte Tomas. »Scheiße, die haben Kalaschnikows.«
Einer von ihnen schrie etwas und machte ein Zeichen mit seiner Waffe.
»Er will, dass du aussteigst«, flüsterte Gunilla, und Rickard fand, dass sie plötzlich wie ein erschrockenes Tier in einem Comic klang. »Ich habe doch gesagt, wir sollen hier nicht reinfahren.«
»Das wird sich schon regeln«, erwiderte Tomas. »Ich erkläre ihnen, dass wir uns verfahren haben und nur wenden wollten.«
Er stieg aus dem Bus und ging zu den beiden, die im Scheinwerferlicht standen. Der Mann, der mit seiner Kalaschnikow gewunken hatte, winkte immer noch.
»Ich glaube«, sagte Rickard und spürte selbst, dass es ihm schwerfiel, die Stimme ruhig zu halten. »Ich glaube, er meint, dass wir alle aussteigen sollen.«
»Nimm die Pässe mit«, ermahnte Anna ihn. »Die wollen sie sicher sehen. Und ein paar Zigaretten, das hilft immer.«
»Na, das ist doch einfach toll«, sagte Maria. »Diese netten Jungs wissen sicher, wo es einen guten Campingplatz gibt. Ihr müsst doch zugeben, dass sie hilfsbereit aussehen.«
Sie wurden an eine Wand gestellt. Vom ersten Moment an hatte Rickard das Gefühl, als würde das alles gar nicht wirklich passieren. Es war ein Spiel oder ein Theaterstück oder nur irgend so eine idiotische Filmaufnahme. So etwas gab es einfach nicht, oder zumindest geschah es nicht mit dieser
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