Einsamen
ich nichts, absolut nichts mit der Sache zu tun, weder mit Maria Winckler noch mit Germund Grooth.
W-O:Könnte es nicht sein, dass Sie uns anlügen, Frau Martinsson?
EM: Wendet sich AT zu: Hören Sie, könnten Sie nicht einfach Ihren Kollegen schnappen und gehen? Und versuchen, ihm im Auto auf dem Heimweg ein wenig Benimm beizubringen? Ich nehme an, dass Sie verstehen, was ich meine.
AT:Vielen Dank, Frau Martinsson. Die Vernehmung ist beendet. Es ist jetzt 13.47 Uhr.
Protokoll verfasst am 04.10.2010 von
Alexander Tillgren, Kriminalassistent
39
E s war halb neun Uhr abends, als sie endlich in Timisoara ankamen, und die Dämmerung hatte schon eingesetzt. Es war der 8. August, Rickard schrieb in sein Tagebuch, dass es der Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen den Siegermächten und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg war – ein Datum, mit dem er einen Punkt bei einer Geschichtsprüfung im Gymnasium eingeheimst hatte und das er vermutlich nie vergessen würde – und dass es der erste Tag war, an dem deutlich eine Missstimmung in der Gruppe herrschte. Außerdem notierte er, dass es ein Dienstag war.
Ansonsten hatte seine Dienstagantipathie während der Uppsalajahre abgenommen. Wenn er überhaupt noch daran dachte, dann meistens wie an einen Aberglauben, ungefähr, wie man es vermeidet, unter einer Leiter hindurchzulaufen, oder man dreimal ausspuckt, wenn eine schwarze Katze den Weg kreuzt. Eine Art übriggebliebener Atavismus, aber als sie jetzt durch dunkle, unbekannte Straßen einer fremden Stadt rollten, die alles andere als einladend aussah, überfiel sie ihn von Neuem. Wir müssen diesen Abend überstehen, dachte er. Wir müssen einen Platz finden, wo wir unser Lager aufschlagen können. Das wird sich alles regeln, morgen scheint die Sonne wieder, und wir sind immer noch auf dem Weg zum Schwarzen
Meer.
Kindische, peinliche Gedanken, das war ihm selbst klar, doch als er durch das Busfenster hinausspähte, empfand er ein greifbares Gefühl von etwas Feindlichem. Etwas, das dort ausgebrütet wurde. Als hätten sie ein verbotenes Gebiet betreten, und als er seine Mitreisenden betrachtete, konnte er feststellen, dass sie die gleichen Gefühle zu empfinden schienen wie er. Keiner sagte etwas, alle saßen nur da und schauten auf die fast menschenleeren Bürgersteige und die verdunkelten Häuserfassaden. Es brannte so gut wie keine Straßenbeleuchtung, die vereinzelten schmutziggelben Lampen, die in den Windböen hin und her schaukelten, schienen eher das Dunkel aufzusaugen, als es zu bekämpfen. Es regnete, und Rickard spürte, dass eine bedrohliche Stimmung über der gesamten Stadt lag. Germund, der hinter dem Steuer saß, machte keine Miene, anzuhalten, er manövrierte den Bus langsam immer weiter über glatte, runde Pflastersteine, über kaputten Asphalt, über aufgeworfene Straßenbahnschienen, schien ohne zu zögern nach rechts und links abzubiegen, als würde er von einem inneren Wegweiser gelenkt, aber aus irgendeinem Grund gab es niemanden, der ihn fragte, wohin sie eigentlich fuhren.
Die Stimmung im Bus war bereits am Nachmittag schlecht gewesen. Es herrschten geteilte Meinungen darüber, ob man anhalten sollte, bevor man Timisoara erreicht hatte, oder versuchen sollte, die Stadt noch vor dem Abend zu erreichen – aber die Meinungen teilten sich eigentlich nicht in zwei Lager, es schien eher in jedem Einzelnen eine Kluft zu geben. Eine Art müde und streitsüchtige Unentschlossenheit, die viel Nahrung von den schlechten Straßen und den immer wieder auftauchenden Treckern und landwirtschaftlichen Maschinen bekam, die zu überholen so gut wie unmöglich war. Sie mussten einfach hinterherkriechen und warten, dass sie auf den nächsten Acker oder auf eine Nebenstraße im nächsten Ort abbogen. Rickard hatte die Karte studiert und ausgerechnet, dass ihre Durchschnittsgeschwindigkeit momentan weniger als vierzig Kilometer in der Stunde betrug. Sie waren elf Stunden gefahren und hatten dreihundertachtzig Kilometer zurück-
gelegt.
Und das Ziel war also Timisoara, eine Stadt, die aussah, als duckte sie sich vor einem nahenden Bombenangriff. Genau diesen Vergleich notierte sich Rickard in seinem Tagebuch, und als er es Anna zeigte, nickte sie und schrieb es in ihr Notizheft ab.
Endlich hielt Germund vor einem Gebäude an, das aussah wie ein großer Lagerraum. Falls sie sich jemals in zentraleren Regionen der Stadt befunden hatten, so hatten sie diese auf jeden Fall inzwischen hinter sich
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