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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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dann hätte …
    Er schob den Gedanken beiseite. Das durfte er gar nicht zu Ende denken. Das war zu viel.
    Maria zog ihr Hölzchen. Versteckte es in der Hand, ohne nachzusehen, ob es abgebrochen oder ganz war, und während sie dort vollkommen reglos stand und die anderen aus der Gruppe mit Augen betrachtete, die fast an die einer Katze erinnerten, brach Tomas plötzlich in Tränen aus.
    Es waren nur drei kurze, laute Schluchzer, dann fasste er sich wieder.
    Seine Schwester oder seine Frau, dachte Rickard. Eine von beiden. Es vergingen ein paar Sekunden. Das Monster der Stille kehrte mit gefletschten Zähnen zurück.
    Maria zeigte ihr Streichholz. Es war ganz.
    Gunilla schrie.
    Es klang nicht mehr menschlich, wie Rickard fand.
    Dieses Mal waren sie zu dritt. Der Jüngste war als Wache draußen zurückgelassen worden. Sie machten sich gar nicht erst die Mühe, die Tür abzuschließen, zogen sie nur hinter sich zu. Der Anführer trat einige Schritte vor, blieb direkt unter der Glühbirne stehen.
    Er ließ seinen Blick über die Gruppe der Gefangenen schweifen. Diese saßen jetzt nebeneinander auf den Bänken. Er zündete sich eine Zigarette an und nahm einen Zug.
    »One woman now.«
    Es vergingen einige Sekunden der Stille. Schließlich stand Gunilla auf. Machte sich von Tomas frei und ging zwei Schritte auf den Anführer zu.
    Dann versagten ihr die Beine. Sie fiel zu Boden und blieb einen Meter vor ihm liegen. Nicht ein Laut kam aus ihrem Mund. Der Anführer gab den Männern an der Tür ein Zeichen. Einer von ihnen verließ seinen Platz und ging zu Gunilla. Er packte sie am Arm und zog sie über den Boden. Es war nur das leise Rascheln ihrer Kleidung am Beton zu hören.
    »Stop it!«
    Germund war aufgestanden. Der Soldat ließ Gunillas Arm los. Der Anführer hob seine Waffe. Germund näherte sich ihm langsam, wobei er die Arme ausgestreckt vom Körper hielt. Was zum Teufel macht er?, musste Rickard denken.
    »Stay or I shoot!«
    Germund blieb nicht stehen. Stattdessen machte er einen Sprung direkt auf den Anführer zu, und im selben Augenblick ging eine Salve los.
    Tat-tat-tat.
    Drei Schüsse, nicht mehr. Es war einer der Männer an der Tür, der geschossen hatte, nicht der Anführer. Germund sank zu Boden und fasste sich an die Schulter. Sein weißes T-Shirt färbte sich augenblicklich rot.
    Alles geschah in einer Art surrealistischem Zeitraffer, dachte Rickard. Das Gefühl der Unwirklichkeit war fast erstickend. Der gesamte Handlungsablauf konnte nicht mehr als zehn, fünfzehn Sekunden gedauert haben, dennoch hatte er das Gefühl – sowohl während er dort als verstummter Zuschauer saß als auch hinterher –, dass es sich um Minuten gehandelt haben musste.
    Der Befehl des Anführers. Gunillas drei, vier Schritte. Ihr Zusammenbruch. Das Wegschleppen und Germunds Ruf, seine kampfbereite Bewegung durch den Raum.
    Die Warnung des Anführers, Germunds Ausfall und der Schuss. Tat-tat-tat.
    Und während Germund noch kniet und sich seine blutende Schulter hält – während Gunilla noch zusammengekauert auf dem Boden liegt, einen Meter von ihm entfernt, und das Geräusch der Schüsse noch im Raum hängt –, steht Maria auf.
    »Okay«, sagt sie. »I’m the one.«
    Sie verlässt die Bühne zusammen mit den drei Männern.
    Diese schließen sorgfältig die Tür ab, und die Stille übernimmt erneut die Regie. Eine andere Art von Stille, Rickard findet sofort einen Namen dafür.
    Er heißt Scham.

44
    I ch dachte, ich würde mit Inspektor Barbarotti sprechen«, sagte Tomas Winckler und ließ sich auf der anderen Seite des Schreibtisches nieder.
    »Er ist verhindert«, erklärte Eva Backman. »Aber ich bin genauso vertraut mit dem Fall wie er, deshalb ist es nicht so wichtig.«
    »Tatsächlich?«, sagte Tomas Winckler. Er zupfte eine Bügelfalte seiner hellen Hose gerade und setzte sich eine minimalistische, längliche Brille auf. »Ja, ich verstehe eigentlich gar nicht, warum Sie in dieser Sache immer noch herumwühlen.«
    »Das kann ich Ihnen erklären«, sagte Backman. »Es ist auch gar nicht so schwer zu verstehen. Wir haben gute Gründe zu der Annahme, dass Germund Grooth ermordet wurde. Und Ihre Schwester vor fünfunddreißig Jahren auch.«
    Sie beobachtete seine Reaktion. Hoffte auf eine deutliche Reaktion, aber nichts dergleichen geschah. Nur ein paar hochgezogene Augenbrauen und ein leichtes, alles in Frage stellendes Kopfschütteln. Er zupfte zwar erneut an der Hose, aber das wollte sie lieber nicht

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