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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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wenn dem so war, dann konnte man ja darüber nachdenken. Der Tod der Eltern und Maria Wincklers Tod. Gab es da noch etwas Drittes? Warum sollte noch etwas Drittes notwendig sein?
    Sie schüttelte den Kopf und las weiter. Ribbing hielt sich eine Weile damit auf, wie oft sie sich gesehen hatten, ob sie den Namen anderer Frauen in Grooths Bekanntenkreis wusste (das tat Kristin Pedersen nicht, und sie hatte auch kein Interesse daran gehabt, sie zu erfahren), kam dann wieder auf diese Trübsinnigkeit und die depressiven Tendenzen zurück, aber Eva Backman konnte nichts besonders Brauchbares darin
finden.
    Dann ging Ribbing dazu über, genau wie sie ihn instruiert hatte, nach dem Besuch bei den Wincklers im Juni in Lindås zu fragen, aber das Einzige, was Kristin Pedersen zu diesem Treffen zu sagen hatte, war, dass sie bei kleinbürgerlichen, wohlsituierten Vorzeigeschweden übernachtet hatten. Sie waren scheißlangweilig, hatten aber einige gute Weine serviert. Worüber sie gesprochen hatten, daran konnte sie sich nicht erinnern. Falls es irgendeine Art von Unstimmigkeit zwischen Grooth und den Gastgebern gegeben haben sollte, so hatte zumindest Kristin Pedersen das nicht bemerkt.
    Aber sie hatte das eine oder andere Glas getrunken, das gab sie frei heraus zu. War auf dem Sofa eingeschlafen, wenn sie diesen Abend jetzt nicht mit einem anderen verwechselte.
    Eva Backman beendete ihre Lektüre und seufzte. Dann schob sie die Papiere wieder in den Umschlag und erinnerte sich daran, was sie vor Kurzem gedacht hatte.
    Dahinter ist eine Geschichte verborgen. Eine Geschichte, der wir nicht einmal ansatzweise näher kommen.
    Stimmt das?, dachte sie jetzt. Oder ist es nur so, dass wir uns so etwas einbilden? Dass ich mir so etwas gern einbilde?
    Andererseits hatte Kristin Pedersen gesagt, dass es ihr schwerfalle, sich vorzustellen, dass Germund Grooth sich das Leben genommen haben sollte. Mit einer bevorstehenden
Parisreise und alldem.
    Das hatte sie gesagt.
    Ich werde aus der Sache nicht schlau, dachte Eva Backman. Aber so langsam bin ich sie leid. Morgen werde ich zu Barbarotti gehen und ihm sagen, dass wir das jetzt verdammt noch mal lösen müssen.
    Oder wir stellen die Ermittlungen ein, das ist es ja wohl, was die hohen Herren wünschen.

57
    D er Spatz.
    Es war nicht so einfach, Informationen über dieses Bootsunglück zu finden, bei dem Bernard Grimaux seine Frau und seine kleine Tochter verlor, aber ich habe es geschafft. Mein Mentor hat mich für meine literaturhistorische Detektivarbeit gelobt, wie er sie nannte, und er hat gesagt, dass er selten eine so begabte Arbeit wie meine gelesen hat.
    Ich weiß, dachte ich, doch als er mir vorschlug, wir sollten im Frühling auf Promotionsniveau fortfahren, habe ich höflich, aber bestimmt abgelehnt.
    Weder Germund noch ich haben Lust, im akademischen Ententeich hängen zu bleiben, zumindest versichern wir uns das immer wieder gegenseitig. Obwohl ich mich manchmal frage, in welcher Welt sich Germund eigentlich zurechtfinden kann. Wir sind beide ziemliche Eigenbrötler, aber Germund ist auf jeden Fall schlimmer dran als ich.
    Aber jetzt erst einmal zu Grimaux, ich habe die Unterlagen aus zwei französischen Zeitschriften – oder magazines , genauer gesagt. Beide haben ein paar Monate nach dem Unglück, kurz bevor er sich entschloss, den Atlantik zu überqueren, ein Interview mit ihm geführt.
    Es war also so, dass Bernard mit Frau und Tochter zusammen war, als es passierte. Sie befanden sich alle im selben Boot, und sie fielen alle drei ins Wasser. Grimaux selbst kam mit dem Leben davon, während seine Frau und Tochter starben, und das ist die Krux. Es steht nicht im Klartext in einem der Interviews, aber wenn man es mit gewissen Dingen vergleicht, die er in seinem letzten Jahr in New York geschrieben hat, dann ergibt sich ein deutliches Bild. Er hat sich verzweifelt bemüht, beide zu retten. Hat lange in den Wellen gekämpft, das ist ganz offensichtlich, aber irgendwann hat er aufgegeben und beschlossen, sich selbst zu retten und nicht mehr zu versuchen, die anderen zu retten.
    Wenn er diesen Entschluss nicht gefasst hätte, dann wären sie alle drei ertrunken. Drei Tote statt zwei. Aber irgendwie nützt das nichts. Das Leben lässt derartige rein mathematische Vereinfachungen nicht zu – ich werde das irgendwann einmal mit Germund diskutieren, auf jeden Fall. In seinen Träumen und in seinen Gedichten geht Grimaux immer und immer wieder die Situation durch, als er sie faktisch

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