Einsamen
wie auch er hatten zwar irgendwann ihr Stipen-
dium zurückzuzahlen, aber so ging es ja allen. Und ab Januar würden beide eine feste Stelle haben, auf einem Pfarrhof wohnen, und sie sprachen bereits davon, sich ein besseres Auto zuzu-
legen. Der Volvo war zwar wie am Schnürchen gelaufen, seit sie ihn von einem pensionierten Volksschullehrer draußen in Mor-
gongåva gekauft hatten, aber vielleicht erforderte Rickards zukünftige Position ja etwas ein wenig Moderneres. Obwohl es daheim in Hova-Gullspång einen alten Pfarrer mit einem PV gegeben hatte, daran konnte er sich noch erinnern, und irgendwie gefiel ihm dieses Bild.
Von Maria und Germund hatten sie nichts gesehen und gehört. Er nahm an, dass Maria sich immer noch unten in Spanien aufhielt. Bevor er im August umgezogen war, hatte Tomas am Telefon erzählt, dass sie im Herbst einige Monate dort unten im Haus der Eltern verbringen wollte. Er hatte außerdem gemeint, dass es ihr wohl nicht so gut gehe. Aber so war es nun einmal, und dafür gab es natürlich Erklärungen. Womit Germund sich beschäftigte, das wussten weder Tomas noch Rickard – wahrscheinlich mit irgendeiner Form abgehobener theoretischer Physik. Rickard hatte ihn nur zweimal im Laufe des Herbsts gesehen, einmal in Gesellschaft einer anderen Frau, sie hatten zwei Reihen vor ihm im Kino Fyrisbiografen gesessen, und es hatte den Anschein gehabt, als würden sie einander sehr gut kennen.
Nun ja, hatte Rickard gedacht, das ist nicht mein Problem. Es war nur sonderbar, dass Anna, als er ihr davon erzählte, wütend wurde und erklärte, dass es natürlich ihre Sache sei und dass sie versuchen sollten, Kontakt mit Maria in Spanien aufzunehmen. Rickard hatte gefragt, ob sie denn überhaupt wisse, ob die beiden noch zusammen seien, aber darauf hatte Anna nur verächtlich geschnaubt.
Aber sie hatten sich dann doch nicht die Mühe gemacht, mit Maria oder mit Germund Kontakt aufzunehmen, und Rickard musste wieder einmal einsehen, dass es Seiten an seiner Frau gab, die ihm immer noch fremd waren. Andererseits – welchen Grund gab es zu glauben, dass er ihr so viel vertrauter war als sie ihm?
Sie waren jetzt seit vier Jahren zusammen. In vier Jahren werden wir vier Kinder haben, dachte er plötzlich, mit einem Lachen, das von innen kam, und dann werden wir diese Zeit vollkommen vergessen haben.
Nun ja, vier Kinder in ebenso vielen Jahren, das war vielleicht ein wenig übertrieben, aber zwei, mit denen konnte man ja wohl rechnen?
Zwei Kinder, die auf einem Pfarrhof auf dem Lande aufwuchsen. Das war ein schönes Bild für die Zukunft, das er nur schwer beiseiteschieben konnte, wenn er abends wach lag und Probleme hatte, einzuschlafen.
Die Gemeinde von Rödåkra-Hemleby. Schon der Name gefiel ihm. Vielleicht werde ich dort für den Rest meines Lebens bleiben, dachte er.
Und bald sind wir dort. Nur noch ein Monat.
Er erinnerte sich an die leichte Erregung, die er an den ersten Tagen ihrer Osteuropareise gespürt hatte, aber die Erwartung, die ihn jetzt erfüllte, während dieser ruhigen Tage zwischen den Festen, das war etwas anderes.
Der große Plan. Es war an der Zeit.
60
E s war Samstagabend, und er saß an ihrer Bettkante.
Alle fünf Kinder waren an Ort und Stelle gewesen, hatten dann aber verkündet, dass ihnen schon klar war, dass die Erwachsenen auch mal ein bisschen Zeit für sich allein brauchten. Vielleicht hatte Marianne es ihnen auch gesagt, als er draußen war, um etwas zu trinken zu holen, das war natürlich ebenso möglich.
»Hast du nie Angst gehabt?«, fragte er.
»Ich war bewusstlos«, sagte Marianne. »Ich glaube, man kann nicht gleichzeitig bewusstlos und ängstlich sein.«
»Aber hattest du keine Angst, als du aufgewacht bist? Hast du dich nicht gefragt, was passiert ist und wo du bist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich war einfach nur müde. Es war, als sollte ich schlafen und sonst nichts. Ich bin immer noch müde, ich schlafe ja sechzehn Stunden am Tag.«
»Bist du jetzt auch müde?«
Sie lächelte. »Bleib noch eine Weile.«
»Ich hatte Angst«, sagte Barbarotti. »Ich habe noch nie in meinem Leben so eine Angst gehabt. Ich habe gefürchtet, du könntest mich verlassen.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Marianne. »Aber ich denke gar nicht daran, dich zu verlassen.«
Er nahm ihre Hand. Hielt sie mit beiden Händen, vorsichtig und beschützend, als handelte es sich um ein verlassenes Vogeljunges. Saß eine Weile schweigend da, suchte nach Worten. »Das Leben ist
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