Einsamen
hatte ebenfalls ein Jahr erlebt, das zu einem Aufbruch passte. Zwar war ihr Vertrag bei der Uppsala Nya Tidning verlängert worden, aber nach der Urlaubsvertretung im letzten Sommer war sie in der Lokalredaktion draußen in Östhammar gelandet. Was lange Tage und lange Wege bedeutete. Sie hatten sich ihr erstes Auto gekauft, einen alten Volvo PV mit drei Gängen für zweitausendvierhundert Kronen, so musste sie zumindest nicht mit dem Bus fahren, aber es hatte trotzdem jeden Tag zwei Stunden auf der Straße bedeutet. Die jetzt anstehende Stellung bei der Schwedischen Kirchenzeitung hatte sie ohne seinen Einfluss oder seine Fürsprache bekommen, es handelte sich um eine Halbtagsstellung mit Schwerpunkt auf Westschweden, und die Redaktionsleitung hatte versichert, dass die Arbeit problemlos von Kymlinge aus zu bewältigen war, auch wenn natürlich mal mit einer Reise nach Göteborg oder in andere Orte gerechnet werden musste.
Und sie war bereit, die Stadt ihrer Kindheit zu verlassen, Rickard sah keinen Grund, an ihren Worten zu dieser Frage zu zweifeln.
Vielleicht war da etwas anderes, das einen Hauch von Zweifel verursachte, doch er vermied, daran zu denken. So gut sich das vermeiden ließ. Es schien, als gäbe es in Anna so etwas wie einen Privatbereich, in den sie ihn nicht hineinlassen wollte. Sie hatte es schon mehrfach selbst mit diesem Ausdruck beschrieben: ein Privatbereich. Manchmal hatte er das Gefühl, er würde sie gar nicht kennen und dürfte sich deshalb auch nicht über sie wundern.
Aber vielleicht war das ja bei allen Frauen so – bei allen Menschen? Irgendwie war es nicht möglich, alles kursiv hervorzuheben, und vielleicht war es auch gar nicht gewollt? Vielleicht war gerade das eine Art Herausforderung? So war er sich bei einer ganzen Menge verschiedener Fragen nie sicher, was Anna in ihrem Inneren wirklich darüber dachte, aber sie sprachen selten darüber. Nur in Ausnahmefällen gelang es ihm, sie dazu zu überreden, zu irgendeinem kirchlichen Anlass mitzukommen. Sie beteten nie zusammen, und im Laufe der Jahre, die sie nun zusammen waren, waren sie höchstens drei- oder viermal zusammen bei einem Gottesdienst gewesen. Einen davon hatte er selbst abgehalten, den in der Kirche von Dalby. Eigentlich hatte er es so ziemlich aufgegeben, sie zu fragen, ob sie mitkommen wollte.
Obwohl er natürlich gern Glaubensfragen mit seiner Frau diskutiert hätte – nicht so weitschweifend wie bei dem Quartett bei Ofvandahls, aber trotzdem. Andererseits war er es vielleicht selbst, der da überempfindlich reagierte, schließlich sprachen sie ja miteinander, manchmal auch über Dinge, die über Alltagsfragen hinausgingen – aber häufig konnte sie so ein Gespräch abrupt abbrechen, genau in dem Moment, wenn er das Gefühl hatte, es würde neue Tiefen erreichen, und ihm erklären, dass sie keine Lust habe, jetzt weiter darüber zu reden. Er verstand selten den Grund, spürte nicht schon vorher, dass sie sich diesem Wendepunkt näherten, und die Stille, die hinterher zwischen ihnen herrschte, bedrückte ihn. Es war, als würde sie kleine Siege erringen, einfach dadurch, dass sie gar nichts mehr sagte. Dadurch, dass sie die Tür zu ihrem Privatbereich schloss. Ja, zur Sprache an sich.
Vielleicht war das beunruhigend, er wusste es nicht. Aber auf jeden Fall war es nichts, was noch unbedingt geklärt werden musste, solange sie auf dem Kvarngärdet in Uppsala lebten. Im Januar würde eine neue Zeit beginnen, das wussten beide, und dann würden neue Voraussetzungen gelten.
Bis jetzt waren sie jung gewesen, das dachte er häufiger. In Kymlinge, mit einem eigenen Pastorat und einem Pfarrhaus, da würden sie erwachsen werden.
Stadien auf dem Lebensweg.
Der Kontakt zu Tomas und Gunilla war im Laufe des letzten Jahres mehr oder weniger abgebrochen. Natürlich erst recht, nachdem diese nach Göteborg gezogen waren, aber er fragte sich ab und zu, woran das eigentlich lag. Er fand keine Antwort und diskutierte das auch nie ernsthaft mit Anna. Vielleicht steckten noch immer die Ereignisse von Timisoara dahinter, vielleicht auch die inzwischen Makulatur gewordene Reisefirma. Die »Qualitätsreisen« waren von Anfang an
Tomas’ Idee gewesen, und mit dem Konkurs auf dem Tisch konnte man nur feststellen, dass es keine besonders glückliche Geschichte war. Wieviel Geld Rickard und Anna genau verloren hatten, das war schwer zu sagen, aber nachdem er das Erbe seiner Mutter erhalten hatte, machte ihm das keine Sorgen mehr. Anna
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