Einsamen
könnten, mich in ein spanisches Irrenhaus zu sperren. Das sehe ich ihr an, wir treffen uns nicht oft, vielleicht so jede zweite Woche. Sie ist es, die mich besucht, ich fahre nie nach Fuengirola, wie sehr sie es auch immer wieder wünscht.
Sie kommt mit dem Zug, und sie hat immer etwas zu essen dabei. Frisches Gemüse, frisches Brot, das sie unten auf dem Markt gekauft hat, Gemüse und Konserven. Sie hat nämlich außerdem Angst, ich könnte verhungern, und dafür gibt es auch seinen Grund. Seit ich hierhergekommen bin, habe ich bestimmt sieben, acht Kilo abgenommen, aber das stört mich nicht. Ich esse sehr wenig. Fast nur Obst, aber ich trinke Unmengen an Wasser. Jeden Tag literweise, aber nie auch nur einen Tropfen Alkohol, obwohl ich fünf Abende die Woche in
einer Bar stehe.
Ab und zu rauche ich einen Joint, wenn ich von der Bar nach Hause komme, das ist immer so gegen drei Uhr morgens. Es ist wie früher. Wenn ich das tue, kann ich traumlos bis weit in den Vormittag hinein schlafen.
Natürlich versuchen viele Kerle, mich anzumachen, ich bin immer noch hübsch, auch wenn ich langsam schon mager werde. Aber es ist etwas in meinem Blick, das sie dazu bringt, ziemlich schnell aufzugeben. Ich glaube, ich mache ihnen Angst, sie merken, dass es in mir eine Finsternis gibt, etwas, von dem sie gar nichts wissen wollen, weil sie damit sowieso nicht umgehen könnten. Vor ein paar Wochen gab es auch ein Mädchen, das an mir interessiert war, es gibt ziemlich viele Homosexuelle hier unten. Ich bin sogar mit zu ihr gegangen, wir lagen nackt auf ihrer Dachterrasse und haben uns eine Weile gestreichelt, aber sie war zu besoffen, und das Ganze hat mich plötzlich angeekelt. Als ich abgehauen bin, hat sie mir hinterhergeschimpft, und am nächsten Abend kam sie in die Bar und hat sich entschuldigt, blass und reuevoll. Ich glaube, sie wollte es noch einmal mit mir versuchen, aber ich habe ihr zu verstehen gegeben, dass sie sich zum Teufel scheren soll. Nicht mit Worten, es genügte, meinen schwarzen Blick in sie zu bohren.
Vielleicht hat Mama ja doch Recht, wenn man alles zusammennimmt. Vielleicht bin ich dabei, die Kontrolle zu verlieren. Ich verschlinge ziemlich viele Bücher, aber ab und zu kommt es vor, dass ich fünfzig Seiten lese, und wenn ich dann das Buch für fünf Minuten weglege, erinnere ich mich an kein einziges Wort mehr von dem, was ich gelesen habe. Und auch wenn ich zurückblättere, kommt die Erinnerung nicht wieder, ich frage mich, wo ich eigentlich während dieser fünfzig Seiten gewesen bin.
Germund hat drei Briefe geschrieben. Kurze, leicht verbitterte, so scheint es jedenfalls. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass er sich nicht auf diese Kunst versteht. Zu schreiben, meine ich. Ich habe jedenfalls alle drei beantwortet, und wir haben vier oder fünf Mal telefoniert. Er möchte, dass ich zurückkomme, aber ich habe ihm erklärt, dass es noch zu früh dafür ist. Es muss erst noch etwas mit mir passieren, es hat keinen Sinn, in diesem Zustand nach Schweden zurückzukehren.
Dann komme ich zu dir, hat Germund gesagt. Bereits seit November sagt er das, und schließlich habe ich nachgegeben. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn wir uns wiedersehen, zumindest ist er der einzige Mann, bei dem ich beruhigt schlafen kann. Nun ja, beruhigt ist vielleicht das falsche Wort, aber er ist der einzige Mann, vor dem ich mich nicht ekle, das ist nun einmal so.
Er kommt Ende Februar, und ich nehme an, dass er bleiben wird, bis wir zusammen wieder zurückfahren, auch wenn er es nicht ausdrücklich gesagt hat. Er hat im Laufe des Herbstes Unterricht gegeben, an irgendwelchen physikalischen Instituten, wenn ich es richtig verstanden habe, und er sagt, dass er ausreichend Geld hat. Wir werden uns wohl in mein Zimmerchen quetschen und sehen, wie es läuft. Vielleicht fahren Mama und Papa ja im April wieder nach Schweden, dann könnten wir in deren Haus wohnen.
Es gibt ein alleingelassenes Mädchen hier im Viertel, mit dem ich mich in letzter Zeit immer unterhalte. Sie behauptet, sie wohnt bei ihrer Großmutter, aber ich habe nie eine Großmutter gesehen. Wenn sie nicht wirklich alleingelassen wurde, dann ist sie auf jeden Fall häufig allein.
Sie kann nicht älter als zehn Jahre sein, wir treffen uns immer abends, bevor ich zur Bar gehe. Ungefähr so zwischen sechs und sieben. Sie kommt unten vom Hafen die Treppen herauf, und jedes Mal trägt sie dasselbe Kleid und dieselbe Strickjacke. Sie geht barfuß, obwohl
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