Einsamen
es nicht besonders warm ist. Wenn ich sage, dass ich mich mit ihr unterhalte, dann stimmt das nur bedingt, denn wir reden nicht viel. Nur wenige Worte, manchmal auch gar keine. Aber wir sitzen gern nebeneinander auf einer der Bänke vor der Kirche und gucken den Tauben zu. Sie ist unglaublich scheu, aber wir sitzen beisammen und leisten uns in gewisser Weise gegenseitig Gesellschaft.
Sie hat mir erzählt, dass sie Miranda heißt. Ich stelle ihr keine Fragen, da ich bemerkt habe, dass sie das nicht möchte, und sie scheint auch nichts über mich wissen zu wollen. Uns gefällt diese schweigsame Art, und ich habe mir überlegt, dass ich, wenn mein Leben anders aussehen würde – und mein Kopf auch –, sie gern adoptieren würde.
Eigentlich ist mir erst gestern dieser Gedanke gekommen, aber seitdem verfolgt er mich. Ich habe den Verdacht, dass er gefährlich ist, er könnte eine Art Obsession werden, und als ich mich heute Abend auf die Bank setzte, ist Miranda nicht aufgetaucht.
Jetzt stehe ich in der Bar und spüre, dass etwas in mir wächst. Vielleicht ist es ein Schrei, vielleicht etwas anderes. Ich habe seit heute Morgen nichts gegessen.
Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee wäre, mich in ein spanisches Irrenhaus zu sperren. Ich wünschte, Germund wäre hier. Aber es sind noch zwei Wochen, bis er kommt.
62
I rgendwie schon komisch«, sagte Eva Backman. »Vorsichtig ausgedrückt.«
»Finde ich auch«, sagte Marianne.
»Sowohl das eine als auch das andere. Das, was dir zugestoßen ist, und das, worüber ich mit dir sprechen möchte.«
Marianne nickte. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und zögerte einen Moment. »Gunnar hat Probleme damit. Ich war diejenige, die vorgeschlagen hat, dass du das übernehmen sollst.«
»Ja, ich weiß«, sagte Eva Backman. »Aber ich dachte, du würdest im Bett liegen?«
»Da liegt man sich wund«, erklärte Marianne. »Und kriegt Blutpfropfen und alles Mögliche. Nein, ich will lieber, so gut es geht, in Bewegung bleiben. Aber ich schlafe immer noch wie ein Koalabär … die verschnarchen doch Dreiviertel ihres Lebens, oder?«
»Ich glaube schon«, sagte Eva Backman. »Dann ist es vielleicht am besten, wenn wir anfangen, bevor du einnickst, oder?«
»Auf jeden Fall. Germund Grooth also, nicht wahr?«
»Germund Grooth«, bestätigte Eva Backman und schaltete das Aufnahmegerät ein. »Was hast du über diese Bekanntschaft zu berichten?«
Marianne trank ein wenig Wasser und seufzte. »Ich habe darüber nachgedacht. Vorher und auch nach dem da.« Sie zeigte auf ihren Kopf. »Es ist ja schon ein merkwürdiges Zusammentreffen, ich meine, trotz allem leben neun Millionen Menschen in diesem Land, und ich habe wirklich nicht viele Männer in meinem Leben gehabt …«
»Ich hatte vier«, warf Eva Backman ein.
»Ich auch«, sagte Marianne mit kurzem Lachen. »Noch so ein Zufall. Aber dass ausgerechnet Germund in eine Geschichte verwickelt sein muss, die Gunnar und du untersuchen, ja, das erscheint doch einfach unglaublich merkwürdig. Ich habe sogar gedacht …«
»Ja?«
»… dass es sich vielleicht nicht nur um einen Zufall handelt.«
»Interessant«, sagte Eva Backman. »Das habe ich mir auch schon überlegt. Wie kommst du auf solche Überlegungen?«
»Bevor … das hier … passiert ist, da habe ich geglaubt, dass es so sein muss. Der reine Zufall.«
»Zu dem Schluss bin ich auch gekommen«, sagte Eva Backman. »Sonst wäre es ja noch unbegreiflicher. Aber wie war er? Was kannst du mir über Germund Grooth erzählen?«
»Das kommt drauf an«, sagte Marianne und holte tief Luft. »Es kommt drauf an, worauf man hinauswill. Er war ein guter Liebhaber. Zärtlich in gewisser Weise und sehr präsent, wenn es darauf ankam. Und genau darauf war ich wohl aus, auf sonst nichts in meiner Situation damals. Ich hätte ihn mir nur schwer als neuen Vater meiner Kinder vorstellen können. Ich glaube, wir haben uns höchstens zehn Mal getroffen, insgesamt hat es sich um gut ein Jahr gehandelt. Das Problem war …«
Sie verstummte und biss sich auf einen Fingerknöchel.
»Was war das Problem?«
»Das Problem war, dass es eigentlich nur um Sex ging. Wir haben uns tagsüber getroffen, und wir hatten Sex, das war alles. Ich könnte Gunnar das nicht so sagen, aber so war es. Findest du es merkwürdig?«
»Ich finde das ganz und gar nicht merkwürdig«, erklärte Eva Backman. »Warum habt ihr Schluss gemacht?«
»Genau deshalb«, sagte Marianne. »Weil es nicht mehr wurde.
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