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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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aus. »Ich glaube schon. Aber jetzt lass uns schlafen. Das mit der Einladung können wir morgen diskutieren.«
    Manchmal vermisste er Uppsala, dann lag er lange wach, und das tat er auch jetzt. Vielleicht war es gar nicht die Stadt selbst und auch nicht die Zeit, als sie sich mit den vier Freunden trafen – die jetzt möglicherweise auf den Pfarrhof zu Besuch kommen würden –, nein, es waren die anderen Kontakte, nach denen er sich sehnte. Rufus und Matti und Sivert. Die verräucherte Ecke in Ofvandahls Konditorei und die unendlichen Diskussionen über Glauben und Sinn und Ethik. Lebensfragen allgemein. Matti Kolmikoski und Rufus Svensson hatten zusammen mit ihm die Pfarrerweihe empfangen, während Sivert Grahn sich entschieden hatte, zunächst auf Missionsstationen zu arbeiten. Rickard hatte einige Briefe von ihm erhalten, aus Uganda und Tansania, das war wirklich eine ganz andere Welt als die Gemeinde von Rödåkra-Hemleby. Aber irgendwie war das für Sivert auch typisch. Keine Kompromisse, er folgte seiner inneren Stimme, und wenn die sagte, er solle nach Afrika gehen, dann tat er das. Rickard kam nicht umhin, dafür Bewunderung zu empfinden.
    Seit er Uppsala verlassen hatte, hatten sich die Diskussionen um Glauben und das Wort auf drei Bistumstage in Härlanda beschränkt, und da war auch nicht viel herausgekommen. Es gab so viel Praktisches, was zur Pfarrarbeit gehörte, und er war der jüngste und unerfahrenste Teilnehmer. Nein, da war es nicht um den christlichen Glauben in tieferem Sinne gegangen.
    Der Kirchendiener Holmgren war zwar eine ziemliche Quasselstrippe, aber hier galt das Gleiche – geistliche Fragen griff er nur selten auf. Um nicht zu sagen, nie.
    Aber das ist langfristig gesehen nicht das Wichtigste, dachte Rickard sich dann immer. Mit anderen Menschen über Gott zu sprechen. Worum sich alles drehte, das war natürlich das eigene Gespräch mit Gott.
    Was auch nicht immer ohne Probleme funktionierte.
    Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt, dachte er plötzlich. Werde ich auch in dreißig Jahren noch Pfarrer dieser Gemeinde sein? Wie wird das Leben dann aussehen? Im Jahr 2005? Welche Gedanken werde ich denken, wenn ich sechsundfünfzig bin? Oder sechzig? Wie sieht die Welt dann aus? Wie viele Kinder werden wir haben? Enkelkinder? Werde ich den Sinn finden?
    Den Sinn? Die Gabe der Gnade? Er seufzte. Drehte sich auf die Seite und dachte, dass es sicher interessant wäre, die alten Freunde wiederzutreffen. Tomas und Gunilla, Maria und Germund. Wir sind jetzt reife Menschen, dachte er. Erwachsen.
    Ein Wiedersehen auf dem Pfarrhof von Rödåkra. Irgendwann im September vielleicht. Mal sehen, was draus wird.
    Warum eigentlich nicht?

66
    D er Spatz.
    Vor meinem Studium in Uppsala habe ich geglaubt, es hieße le Piaf auf Französisch. Oder la Piaf. Aber das tut es nicht. Das habe ich ja bereits erklärt.
    Es sind die Hundstage, und das Jahr trägt die Nummer 1975. In allen bekannten Sprachen. Spanien – Uppsala – Kymlinge; so sieht die Reise aus, die ich in den letzten Monaten gemacht habe. Germund und ich sind vor einer Woche hier angekommen, in vier Tagen fängt das Schuljahr an. Ein merkwürdiges Gefühl, zweifellos, aber als wir im Mai nach Hause kamen, da haben wir beschlossen, die akademische Welt zu verlassen, und Germund meinte, es wäre doch scheißegal, Lehrer bräuchte man immer.
    Und so hat er für uns zwei Jobs an derselben Schule gefunden, das war Mitte Juni. Er hat angerufen, mit dem Schulleiter gesprochen und eine halbe Zusage bekommen. Eine Woche später wurde es eine ganze. Irgendwie war es so, dass sie möglichst keine examinierten Lehrer haben wollten, weil sie die nie wieder loswurden. Wenn ich Germund richtig verstanden habe, das heißt, wenn Germund den Schulleiter richtig verstanden hat. Der heißt übrigens Flemingsson, ist fast zwei Meter lang und war früher Basketballspieler in der Ersten Liga. Er gefiel mir, als ich ihn vor ein paar Tagen kennengelernt habe, und dass ich ihm gefiel, daran besteht kein Zweifel.
    Deshalb denke ich, das ist der richtige Weg. Ich komme wieder mit Menschen zurecht, zumindest soweit, wie ich es früher auch getan habe. Aber das Wichtigste ist, dass ich auch mit mir wieder klarkomme.
    Ich bin der Spatz, ich bin gefallen, und die Vorsehung war nicht betraut mit meinem Fall. Aber ich bin zurück.
    Und vor Teenagern fürchte ich mich auch nicht, nicht im Geringsten, ich werde ihnen ebenso gut Englisch und Französisch beibringen wie jeder andere

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