Einsamen
waren.
»Wenn sie gestorben wäre, was wäre dann mit uns passiert?«
»Uns?«
»Mit Johan und mir?«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
Was er vielleicht doch tat, aber es war besser, wenn sie es selbst formulierte.
»Ich habe gestern mit Papa gesprochen.«
»Ja?«
»Er hat gesagt, dass wir bei ihm wohnen sollen, wenn Mama stirbt. Er …«
»Ja?«
»Er hat gar nicht gefragt, ob wir das wollen. Er hat nur gesagt, dass es so ist.«
Barbarotti schüttelte den Kopf. Seiner Meinung nach war Mariannes Ehemaliger sowieso ein Schweinehund, aber es war vermutlich nicht der richtige Zeitpunkt, seine Tochter darauf hinzuweisen.
»Sie lebt, Jenny. Deine Mutter lebt und wird noch dreißig Jahre leben. Fünfzig!«
»Ja, aber wenn? Ich will es wissen, begreifst du das nicht?«
Er überlegte, und plötzlich begriff er ganz genau. Verstand, was sie ihn fragen wollte.
»Entschuldige, Jenny. Ich bin etwas langsam von Begriff. Das hier ist dein Zuhause. Das weißt du doch?«
Sie antwortete nicht. Wartete auf eine Art Fortsetzung. Eine Versicherung.
»Du willst nicht bei deinem Vater wohnen, oder?«
»Nein.«
»Und Johan will das auch nicht?«
»Nein.«
»Gut. Komm mal her.«
Er stand auf und breitete die Arme aus. Sie zögerte eine Sekunde, dann huschte sie in seine Arme.
»Ich hab dich lieb, Jenny. Du darfst in diesem Haus wohnen, bis du in Pension gehst, wenn du willst. Das verspreche ich dir. Und wenn die Zeit reif ist, dann errichten wir ein Familiengrab hinten im Garten. Vielleicht neben dem Kompost?«
Darüber musste sie lachen.
»Danke.«
»Wie bist du nur darauf gekommen, dass es anders sein könnte?«
Sie gab keine Antwort. Lehnte den Kopf an seine Brust und atmete schwer. Er spürte, wie die Tränen in ihm hochstiegen, ein gutes Weinen, aber dennoch biss er sich in die Wange und beherrschte sich.
»Sie lebt«, sagte er. »Wir alle leben. Wir müssen lernen, Dankbarkeit zu verspüren. Das Leben zu schätzen, statt Angst vor dem Tod zu haben.«
»Ich weiß«, sagte Jenny. »Aber es ist nicht so toll, wenn man seinen Vater nicht mag.«
»Ich habe keinen Vater.«
»Nein, das hast du erzählt.«
»Er ist verschwunden, bevor ich geboren wurde. Das ist auch nicht besonders toll. Aber an bestimmten Dingen kann man nichts ändern.«
»Zum Beispiel an seinen Eltern?«
»Zum Beispiel. An vielem anderen auch nicht. Aber das, was man ändern kann, das muss man auch ändern. Aber darüber haben wir ja schon geredet. Ich denke, wir belassen es jetzt erst mal dabei. Willst du mir beim Kochen helfen? Ich suche nach diesem Rezept für Pilzrisotto, was hältst du davon?«
»Okay«, sagte Jenny, machte sich frei und putzte sich die Nase. »Dann kommt sie bald nach Hause?«
»In ein paar Tagen.«
»Auf jeden Fall bin ich dankbar dafür, dass sie dich gefunden hat.«
Dieses schöne Weinen machte sich wieder bemerkbar, und er spürte, wie ihm bis ins Knochenmark warm wurde. Manchmal bekommt man mehr, als man verdient, dachte er. Ist es das, was als Gnade bezeichnet wird?
68
W ie geht es dir?«, fragte Tomas. »Alles prima?«
Gunilla nickte. »Alles prima.«
»Sicher?«
Sie konnte nicht anders, sie musste über seine Fürsorge lachen. »Tomas, ich bin im vierten Monat, und mir geht es gut. Wir haben noch nicht mal Halbzeit, du kannst nicht die ganze Zeit so weitermachen.«
Tomas lächelte und öffnete ihr die Wagentür. »Sorry. Jetzt fahren wir jedenfalls erst mal zum Pfarrer. Was meinst du?«
»Was? Was ich meine?«
»Ja. Wie wird es werden? Wie früher?«
Er startete und fuhr vom Parkplatz. Trommelte leise mit den Fingern aufs Lenkrad.
»Ich weiß nicht, was du mit früher meinst«, sagte sie. »Wie am Anfang in der Sibyllegatan oder später?«
»Es wäre schön, wenn es wie am Anfang wäre«, sagte Tomas. »Oder? Nur gut, dass wir dort übernachten können. Wäre nicht so witzig, nach einem langen Essen wieder zurückfahren zu müssen. Und ich nehme an, dass es auf einem Pfarrhof reichlich Platz gibt.«
»Das ist wohl anzunehmen«, sagte Gunilla. »Na, Rickard und Anna sind sicher nicht das Problem. Wenn wir annehmen, dass es nicht wie am Anfang sein wird, nicht wahr?«
Tomas runzelte die Stirn und warf ihr einen Blick zu.
»Du spielst auf meine kleine Schwester an?«
»Ich spiele auf deine kleine Schwester an.«
»Du glaubst doch wohl nicht, dass sie das da zur Sprache bringen wird?«
»Man weiß nie. Sie hat es ja auch am Telefon getan.«
»Das war im April. Da ging es ihr noch
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