Einsamen
solche Mietsviertel etwas urtypisch Schwedisches an sich hatten. Etwas Ehrenhaftes und gleichzeitig ein wenig Bedrückendes. Ungefähr wie ein Konsumladen im Regen.
Aber es regnete nicht, und der Tisch sah überwältigend aus: natürlich Papierdecke und Pappteller und zwei überquellende Schüsseln mit roten Krebsen. Jede Menge Bierdosen und Weinflaschen. Bunte Servietten, Käse, Baguettes und eine große Salatschüssel. Ein halbes Dutzend Gäste saß bereits da, und es war für mindestens noch ein halbes Dutzend gedeckt. Wir legen aus, dann könnt ihr hinterher euren Teil bezahlen, hatte Tomas erklärt. Rickard hatte keine Ahnung, was das Essen kosten würde, aber es spielte auch keine Rolle. Nach dem Jahr bei Lapidus-Beton war er immer noch gut bei Kasse. Vielleicht hatte er im Augenblick nicht genügend Bargeld in der Brieftasche, was natürlich etwas ärgerlich wäre, aber, wie gesagt, es reichte. Und wenn wir sowieso alles aufteilen, dann kann ich ja auch meinen Teil trinken, kam ihm in den Sinn, genau in dem Moment, als Gunilla ihm einen Plastikbecher mit etwas Prickelndem reichte.
»Hallo, Rickard. Willkommen und prost.«
»Prost«, sagte Rickard. »Schön, dich wiederzusehen. Du bist hübscher als je zuvor.«
Das war mutig, und er wusste, dass er sich das nur zu sagen traute, weil sie zu Tomas gehörte. Es war keine Fortsetzung zu erwarten. Sie hatten sich schon zweimal gesehen, und Rickard dachte jedes Mal, dass er nichts mehr von dieser Welt begehren würde, sollte er auch nur annähernd ein Mädchen von Gunillas Klasse treffen.
Aber es war nicht nur Gunilla. Tomas Winckler war in vielerlei Hinsicht ein beneidenswerter junger Mann; Rickard war sicher nicht der Einzige, der so dachte. Trotzdem erweckte er nie Neid, das war das Sonderbare und das Schöne. Seit sie sich an diesem ersten Tag auf der Terrasse von Fågelsången getroffen hatten, gab es eine Art Band zwischen ihnen; zwischen Berglund und Winckler – es fiel schwer, diese militärische Angewohnheit, nur die Nachnamen zu benutzen, abzulegen –, aber Tomas verhielt sich auch zu allen anderen genauso locker und unkompliziert. Sogar zu den Vorgesetzten. Mehr als einmal hatte Rickard seinem glücklichen Stern gedankt, der sie zusammengeführt hatte. Wenn man mit Winckler gut befreundet war, gab es niemanden, der die Existenzberechtigung oder den Wert der eigenen Person in Frage stellte.
Woran immer das auch liegen mochte. Rickard dachte häufiger darüber nach, kam aber selten zu einem anderen Schluss, als dass allgemeiner Optimismus und Freundlichkeit gutes Handwerkszeug war, wenn man sich in sozialen Zusammenhängen bewegen wollte.
Begabung und Humor schadeten natürlich auch nicht, und Tomas besaß beides. Er hatte einiges von Kierkegaard gelesen, auch diese Sache war überprüft. Sogar diese. Und vielleicht gab es ja eine Dramaturgie, nach der sie beide, Berglund und Winckler, sich begegnet waren. Zumindest gefiel es Rickard, so zu denken. An einen höheren Plan zu glauben oder etwas in der Art.
»Du könntest Tomas ein paar Komplimente beibringen«, stellte Gunilla fest. »Aber die Blumen da, sind die nicht für mich?«
Er überreichte sie mit einem verlegenen Lachen. »Natürlich. Wie blöd kann man sein.«
»Das hier ist Maria«, stellte Gunilla ein dünnes Mädchen mit kurz geschnittenem Haar vor. »Tomas’ Schwester.«
Sie schüttelten sich die Hände zur Begrüßung. Tomas hatte erzählt, dass seine Schwester kommen wollte, mehr aber auch nicht. Schlau, aber kompliziert, das war seine einzige Beschreibung gewesen.
»Warum behauptet er, dass du den schlausten Kopf hast?«, fragte sie mit einem nur schwer zu deutenden Lächeln. »Sonst behauptet er doch immer, er sei derjenige, der am klügsten ist.«
»Keine Ahnung«, verteidigte Rickard sich. »Muss sich um ein Missverständnis handeln.«
»Das ist ein Wort, das ich mich nie traue auszusprechen«, erklärte ein langhaariger junger Mann mit Smålanddialekt und John-Lennon-Brille. »Ich verdrehe es immer.«
»Wie denn?«, wollte ein Mädchen mit Strohhut wissen, die leise auf einer Gitarre klimperte. »Ich verstehe gerade nur Bahnhof.«
»Pissbehältnis«, erklärte der Lennonverschnitt. »Peinlich, findet ihr nicht auch?«
Er lachte und trank von seinem Bier. Alle anderen lachten auch, alle, bis auf Maria, diese begnügte sich damit, die Mundwinkel zu verziehen. Das hat sie schon früher gehört, dachte Rickard. Sie ist nicht dumm.
Tomas ging mit ihm herum und stellte ihm
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