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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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an.
    Ansonsten herrschte nicht besonders viel Ernst; die Leute saßen herum, tranken, rauchten und diskutierten. Vietnam und Apartheid, Martin Luther King und das Königshaus. Einige waren schon gegangen, aber die meisten waren noch da, Gunilla und Tomas tanzten, zumindest standen sie mitten im Raum und wiegten sich gemeinsam zur Musik. Eine kleine Gruppe befand sich draußen auf dem Balkon, er konnte sie lachen und reden hören, die Tür war offen, damit all der Tabaksqualm irgendwo abziehen konnte. Alle rauchten, mehr oder weniger kontinuierlich. Rickard selbst saß mit einer Zigarette zwischen den Fingern da und fragte sich, wie viele er schon geraucht hatte. Vermutlich mehr als in seinem gesamten bisherigen Leben, aber er machte keine Lungenzüge, und was zum Teufel spielte es auch für eine Rolle? Ab und zu gab es da noch eine andere Rauchnote im Zimmer, irgendwie süßlich, er fragte sich, ob es sich dabei tatsächlich um Haschisch oder Marihuana handeln konnte.
    Er trank einen Schluck Wein und spürte, wie es sich in seinem Kopf drehte. Mein Gott, dachte er, ich sollte nicht … ich sollte wirklich … meine Mutter würde tot umfallen, wenn sie mich jetzt sehen könnte.
    Die Erkenntnis, dass er sich übergeben musste, kam ungemein schnell, und es war reines Glück, dass er sich nicht blamierte. Er kam auf die Beine, lief auf den Flur, und glücklicherweise war die Toilette nicht besetzt. Er wankte hinein, schaffte es noch, die Tür hinter sich zu schließen und in letzter Sekunde den Deckel zu heben.
    Er verbrachte eine ganze Weile dort drinnen. Erbrach sich zwei oder drei Mal, zum Schluss kam nur noch Galle. Trank kaltes Wasser, wusch sich das Gesicht und die Hände, setzte sich auf den Toilettendeckel und versuchte sich zu sammeln, und als er in den Lärm zurückging, hatte er beschlossen, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen.
    Oder besser gesagt, zum Regiment, das einzige Zuhause, das ihm momentan zur Verfügung stand. Was aber auch genügte. Er fand Gunilla in der Küche, umarmte sie kurz und erklärte, dass er satt, zufrieden und glücklich sei und jetzt gehen wolle.
    »Wie geht es dir, Rickard?«, fragte sie, und ihm schien, als läge ein Hauch mütterlicher Fürsorge in ihrer Stimme. »Willst du den ganzen Weg gehen?«
    »An frischer Luft ischt noch keiner geschtorben«, erwiderte Rickard Berglund und merkte, dass er peinlicherweise nuschelte. »Tauschend Dank, und grüsche Tomasch!«
    Dann machte er sich auf. Lief die drei Treppen hinunter und trat in die milde Augustnacht. Gütiger Gott, sorge dafür, dass ich mich zumindest aufrecht halte, bat er, als er spürte, dass Gehirn und Körper verschiedene Sprachen sprachen. Ich bin besoffen, aber ich wollte es nicht.
    Er ging in die Richtung, von der er annahm, sie sei richtig. Keine Eile, dachte er, ich habe die ganze Nacht vor mir. Die ganze lange, liebliche Nacht. Vielleicht begegne ich auf dem Weg ja einer nackten Frau.
    Eine gewisse Zeitspanne später, eine Stunde oder vielleicht auch nur eine halbe, befand er sich wieder im Englischen Park, und da das Gras dort immer noch einladend hoch stand, entschloss er sich zu einem kleinen Nickerchen. Ein großer Vollmond war über das Dach der Philologen gestiegen, und er fühlte, dass das Leben wunderbar facettenreich war.
    Innerhalb von fünf Minuten war er eingeschlafen, und er wachte erst zehn Stunden später davon auf, als die Sonne ihm direkt ins Gesicht schien und sein Gehirn anscheinend versuchte, aus dem Schädel zu kriechen.

8
    S o, so. Was sollen wir davon halten, hä?«
    »Weiß ich nicht. Was denkst du denn?«
    Sie waren auf dem Weg zurück in die Stadt. Barbarotti
fuhr, Backman saß auf dem Beifahrersitz. Eine Stunde Inspektion der Gänseschlucht reichte, das fanden sie beide. Barbarotti war ja am Sonntag bereits vor Ort gewesen, und zwei jüngere Kollegen, Torstensson und Svendén, liefen dort immer noch suchend herum. Laut Anweisung sollten sie das bis zum Einbruch der Dunkelheit fortsetzen, aber es gab natürlich nicht vieles, was darauf hindeutete, dass sie etwas finden
würden.
    Oder dass man am nächsten Morgen weitersuchen wollte.
    »Zufall«, sagte Backman.
    »Erklär das«, sagte Barbarotti.
    Backman zuckte mit den Schultern. »Es gibt nichts, was auf etwas anderes hindeutet. Zwei Unglücksfälle am selben Ort mit einem Abstand von fünfunddreißig Jahren … das ist wahrscheinlich nicht besonders üblich, aber so etwas kommt vor. Hast du diesbezüglich eine abweichende Meinung? Du

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