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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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die anderen vor. Lennon hieß eigentlich Bertil mit Vornamen, das Gitarrenmädchen mit dem Hut Susanna, und ihr Freund, ein zwei Meter langer Spargel mit Vollbart, hörte auf Boffe.
    »Nun?«, hakte Maria nach, nachdem Rickard sich auf dem Klappstuhl neben ihr niedergelassen hatte. »Wieso bist du so schlau?«
    Tomas kam Rickard zu Hilfe, bevor dieser antworten konnte. »Es ist ja möglich, dass ich mich irre«, sagte er. »Aber er führt beim Schachturnier der Stabsschule um Längen. Und bei dem Wettbewerb sind keine Dummköpfe angetreten, das sage ich dir, Schwesterchen.«
    Was tatsächlich stimmte. Rickard lachte und trank einen Schluck Blubberwasser. »Das wird sich noch ändern«, erklärte er. »Dein Bruder ist nur etwas beleidigt, weil ich ihn vor Kurzem schachmatt gesetzt habe, das ist alles.«
    »Alle, die ihn auf seinen Platz verweisen, sollten eine Medaille kriegen«, erklärte Maria. »Das ist das Einzige, was er wirklich braucht.«
    Sie zündete sich eine Zigarette an und lächelte beide an, und in dem Lächeln erkannte Rickard plötzlich Tomas wieder. Die Idee eines Schachturniers war am Montag nach den Ernteferien aufgekommen. Schnell hatte man sechzehn Teilnehmer gefunden und die Regeln aufgestellt. Jeder sollte gegen jeden spielen, und vor Weihnachten sollte der Sieger feststehen. Einsatz fünf Kronen, erster Preis eine Flasche Whisky.
    Rickard hatte in den vergangenen Wochen vier Partien gespielt und zu seiner eigenen großen Verwunderung drei Siege und ein Remis eingeheimst. Drei Komma fünf Punkte, es stimmte, er hatte momentan die erste Position inne. Nie hätte er damit gerechnet, eine Leuchte beim Schach zu sein. Eigentlich hatte er nur eine Taktik, die hatte er von seinem Vater gelernt, der auch derjenige gewesen war, der ihn in dieses edle Spiel eingeführt hatte: Sei vorsichtig! Warte, bis dein Gegner einen Fehler macht, statt selbst einen zu machen! Aber wie gesagt, er würde sicher nicht das ganze Turnier über die Spitzenposition beibehalten, davon war er überzeugt, und außerdem war nichts bedeutungsloser.
    Immer mehr Menschen stießen zu ihnen, er unterhielt sich ein wenig mit Maria, die frisch in der Stadt war, um hier Französisch zu studieren, und mit Boffe, einem alten Bekannten von Tomas, der zufällig zu Besuch war. Kurz nach halb sechs waren alle Plätze besetzt, das gastgebende Paar teilte einen Matrizenabzug mit dem Text zu der Melodie von »Här är gudagott att vara« aus, und nach dem gemeinsamen Lied war es endlich an der Zeit, sich den roten Leckereien zu widmen.
    Das klappt ja richtig gut, dachte Rickard Berglund.
    Sechs Stunden später befand man sich im Haus. Es war fast Mitternacht, aber der Vorrat an Bier und Wein schien unerschöpflich zu sein. Rickard konnte nicht mehr sagen, wie viel er getrunken hatte, aber er hatte das Gefühl, es könnte sich um einen persönlichen Rekord handeln. Seine Sinneswahrnehmungen funktionierten nicht mehr ganz so, wie sie sollten, und es war nicht so einfach zu verstehen, was die Leute eigentlich sagten, was natürlich auch daran lag, dass die Musik ziemlich laut war. The Doors und Rolling Stones und Creedence Clearwater Revival, das kannte er. Was da sonst noch dudelte, war mehr oder weniger unbekannt. Von Popmusik hatte er nie viel verstanden, es war … es war, als gehörte Rickard Berglund in diese Epoche nicht recht hinein. Das hatte er schon früher gedacht, er hätte vor hundert Jahren zur Welt kommen sollen. Oder vielleicht später, das konnte man natürlich nicht wissen. Aber im Augenblick gab es nicht viel zu beklagen. Er saß auf einem Sofa zusammen mit Susanna und einem Typen, der Germund hieß. Susanna war vermutlich noch betrunkener als er selbst, mal kicherte sie vollkommen unkontrolliert, mal schlief sie ein. Germund war ihm nicht richtig vorgestellt worden; wenn Rickard es richtig verstanden hatte, dann wohnte er bereits seit ein paar Jahren in Uppsala, studierte theoretische Physik oder etwas in der Art – oder wollte er damit erst anfangen? – und vermittelte insgesamt einen leicht trübsinnigen Eindruck. Er trug einen schwarzen Anzug, hatte kurze Haare und schien auch nicht so recht in die Sechziger zu gehören. Die letzte halbe Stunde, oder vielleicht auch die ganze Stunde, war er in ein intensives Gespräch mit Maria, Tomas’ kleiner Schwester, vertieft gewesen. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt, mit nur wenigen Zentimetern Abstand, und die ganze Zeit schauten sie einander mit ernsten Mie-
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