Einsamen
gebeten, behauptet, es gehe ihm gut und er sei über die Trennung hinweg. Das hatte so verlogen wie pathetisch geklungen, und sie hatte das Gespräch beendet, so schnell es ging. Freundlich, aber entschieden hatte sie sich damit herausgeredet, dass sie zu einer Vorlesung müsse.
Und jetzt war er tot.
Ein dreiköpfiges Gefühl von Trauer, Wut und Ohnmacht krallte sich in ihr fest, während sie immer noch dastand und in die kompakte Herbstdunkelheit starrte.
Trauer darüber, dass sie den Tod eines anderen Menschen verursacht hatte, es war nicht zu leugnen, dass es tatsächlich so war.
Wut darüber, dass er sich so rücksichtslos egoistisch verhalten hatte. Sich das eigene Leben zu nehmen, bedeutete immer gleichzeitig, die Hinterbliebenen anzuklagen. Man nagelte eine Schuld in ihnen fest, die zu bezahlen sie niemals die Chance hatten.
Ohnmacht darüber, dass es keine rationale Handlung zu tätigen gab. Nichts, was sie dachte, sagte oder tat, würde auch nur im Geringsten das beeinflussen, was geschehen war, dieses definitive, schreckliche Faktum. Jetzt nicht und niemals.
Tomas war nicht zu Hause. Wie üblich hatte er dienstags Abendwache, und mit größter Wahrscheinlichkeit würde er sich entschließen, in der Kaserne zu übernachten. Es hatte keinen Sinn, um Viertel vor elf nach Hause zu kommen, wenn man am nächsten Morgen schon vor sechs wieder aufstehen musste. Zumindest nicht, wenn man alle übrigen Nächte in der Woche zusammen in einem Bett schlafen konnte. Tomas war es bereits im Juli gelungen, ständigen Nachturlaub zu erlangen, irgendein Arzt in Ulleråker hatte ihm ein Attest geschrieben, das offenbar Wirkung zeigte. Gunilla wusste nicht, was darin stand, aber es genügte; im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, das hatte Tomas deutlich gemacht.
Aber ausgerechnet in dieser Nacht brauchte sie ihn; es war natürlich typisch, dass es an einem Dienstagabend passiert war. Einen Moment lang fiel ihr Rickard Berglund und seine Dienstagsphobie ein, von der er ihr erzählt hatte. Vielleicht war es doch nicht nur Quatsch, wenn man es genauer betrachtete. Vielleicht hatte dieser Wochentag etwas an sich, vor dem man sich in Acht nehmen sollte?
Blödsinn, dachte sie und verließ das dunkle Fenster. Lennart war tot. Er wird morgen noch genauso tot sein … und Donnerstag und Freitag und an allen anderen Wochentagen, für alle Zeit. Er ist nur zweiundzwanzig geworden, und ich war es, der ihm das Leben genommen hat.
Es war Viertel vor zehn. Lieber Gott, lass Tomas anrufen, dachte sie. Ich will heute Nacht nicht allein sein. Er hatte nicht versprochen durchzuklingeln, aber die Chance bestand. Wenn er es tat, würde er einsehen, dass sie ihn jetzt mehr als jemals zuvor brauchte; er würde nach Hause kommen, würde hinter ihrem Rücken liegen und sie fest in die Arme nehmen, ganz fest, vielleicht würden sie sich lieben, das war etwas, das alles heilen konnte, zumindest für eine Weile, und ihre Menstruation war gerade vorüber. Ja, ich will jetzt mit ihm schlafen, dachte sie. Ich will ein Kind von ihm haben.
Dieser Gedanke war ihr noch nie gekommen, und sie fragte sich, wieso er gerade jetzt kam. Vielleicht um des Gleichgewichts willen? Ein Tod, ein neues Leben?
Absurd, dachte sie und schüttelte den Kopf. Nicht einmal Götter dürfen so denken. Ich verliere wirklich die Kontrolle über mich.
Aber wenn Tomas nicht anrief, was sollte sie dann tun? An wen sollte sie sich wenden?
Freunde? Nervös lief sie in der Wohnung auf und ab, während sie im Kopf ihren Freundeskreis durchging. Feststellte, dass es niemanden gab, der dafür in Frage kam. Birgitta natürlich, sie wäre eine Alternative, aber seit Gunilla mit Tomas zusammengezogen war, hatten sie sich auseinanderentwickelt. Außerdem hatte Birgitta Lennart gekannt, und irgendwie sah Gunilla das als ein Hindernis an.
Sie dachte über ihre Studienfreunde nach, aber da gab es niemanden, den sie gut genug kannte – und Maria, Tomas’ kleine Schwester, ja, die war definitiv ausgeschlossen. Tomas behauptete, dass sie verrückt sei, das war natürlich ein Scherz, aber Gunilla dachte häufig, dass an dieser Behauptung sicher ein Körnchen Wahrheit war. Maria hatte irgendetwas an sich, einen Hauch von etwas Unbehaglichem, mit dem Gunilla nicht zurecht kam. Es war nicht die ganze Zeit zu spüren, aber es tauchte immer wieder mal auf … eine Art Härte oder Schweigen, das dazu führte, dass sie Maria nie wirklich nahe kam. Vielleicht sogar etwas Erschreckendes, das
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