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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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bestätigte sie.
    »Das tut mir leid«, sagte er. »Du sollst nie wieder so etwas durchmachen müssen. Das verspreche ich dir.«
    »Danke«, sagte Gunilla. »Weißt du, was eine seiner Schwestern draußen vor der Kirche zu mir gesagt hat, als alles vorbei war? ›Danke, dass du meinen Bruder umgebracht hast, du verfluchte Hure.‹ Und das war das Einzige, was überhaupt jemand zu mir gesagt hat. Es waren dreihundert Menschen da, ich kannte so gut wie jeden von ihnen.«
    Tomas biss die Kiefer zusammen, dass es knackte, und sie sah, wie seine Hände, die das Lenkrad umklammerten, weiß wurden.
    »Nie wieder, Gunilla, das verspreche ich dir. Was für beschissene Geier!«
    »Ganz normale Menschen, Tomas«, erklärte sie. »Es sind nur ganz normale Menschen.«
    Als ihre Mutter ein paar Wochen später anrief und fragte, ob sie zu Weihnachten nach Hause kommen wolle, antwortete sie mit Nein.
    Das wolle sie nicht, und die Mutter verlangte von ihr auch keine Begründung. Sie schien mit der Entscheidung einverstanden zu sein, der Riss, der sich zwischen ihnen durch Lennarts Tod aufgetan hatte, war zu breit, um ihn überwinden zu können. Zumindest fürs Erste. Gunilla versuchte eine Art Gefühlslogik in diesen erstarrten Familienverhältnissen zu finden, aber je länger sie darüber nachdachte, umso dürftiger und hoffnungsloser erschienen sie ihr.
    Es muss schon die ganze Zeit so gewesen sein, dachte sie. Nur dass es vorher nicht sichtbar gewesen ist. Ich habe es gewusst, aber vorgezogen, die Augen davor zu verschließen.
    Sie war sich nicht sicher, ob das stimmte, wollte aber auch nicht weiter darüber grübeln.
    »Das ist das reinste Mittelalter«, sagte Tomas. »Das ist ein Verhalten, das nicht ins Zwanzigste Jahrhundert gehört. Das ist barbarisch.«
    Es kam vor, dass er fuchsteufelswild wurde, wenn sie über ihre Familie sprachen, und in ihrem tiefsten Inneren war sie ihm dankbar für seine heftige Reaktion.
    »Du hast eine Verlobung gelöst, das ist alles«, erklärte er. »Sind in Värmland Zwangsehen üblich, oder wie sieht es damit aus?«
    »Wollen wir Weihnachten in Sundsvall feiern?«, fragte sie.
    »Auf keinen Fall«, erwiderte Tomas. »Wir werden Weihnachten in der Sibyllegatan in Uppsala feiern. Und am Weihnachtsmorgen werde ich dich schwängern.«
    Dabei blieb es.
    In beiden Punkten. Sie feierten in aller Schlichtheit Weihnachten zu zweit in ihrer kleinen Wohnung. Tomas hatte eine ganze Woche Urlaub vom Militär, und sie dachte, dass es schönere Tage als diese eigentlich gar nicht geben konnte. Zwei Menschen, die einander liebten. Umhüllt von einer Schale, die sie gegen die ganze Welt schützte. Gegen alles Alte, Muffige und Ungerechte, so ein Gefühl war das – und gegen ein hartnäckiges Regen- und Matschwetter, das das ganze Wochenende über anhielt.
    Kerzenlicht, Rotwein und Leonard Cohen stattdessen. Songs from a Room.
    Und Liebe. Jede Menge Liebe.
    Als sie Anfang Februar den Bescheid bekam, war es die natürlichste Sache der Welt. Und weil das Kind Ende September erwartet wurde, war es am praktischsten, wenn sie das Wintersemester über pausierte. Ihr phil. cand. würde ein halbes Jahr länger dauern als geplant, mehr musste es nicht kosten.
    »Meinst du nicht, dass wir in der Zeit noch ein zweites schaffen?«, wollte Tomas wissen, und sie dachte nur, ja, warum nicht?
    Dann dachte sie, dass es wohl ein wenig vermessen war, das zweite Kind zu planen, bevor das erste überhaupt da war. Aber dass etwas schiefgehen könnte, nein, das konnte sie sich kaum vorstellen.

10
    G ermund Grooth«, sagte Eva Backman und reichte Barbarotti
einen Kaffeebecher. »Interessanter Name.«
    Gunnar Barbarotti, der im Laufe der Jahre hunderttausend Nachfragen hinsichtlich seines Namens über sich hatte ergehen lassen müssen, gab keinen Kommentar dazu ab. Stattdessen nahm er den Kaffee entgegen und studierte die Liste der Betroffenen von 1975.
    Von Sonntag, dem 28. September 1975, genauer gesagt, als sieben gute Freunde sich zu einem Ausflug aufmachten, um Pilze zu suchen, und auf sechs dezimiert wurden.
    Rickard Berglund
    geb. 1949. Pfarrer der Gemeinde von Rödåkra-Hemleby.
    Anna Berglund
    geb. 1951. RBs Ehefrau. Geb. Jonsson. Journalistin bei der Svenska Kyrkans Tidning , der Schwedischen Kirchenzei-
tung.
    Tomas Winckler
    geb. 1948. Vertriebsexperte bei der Handelsbank in Göteborg.
    Gunilla Winckler-Rysth
    geb. 1949. TWs Ehefrau, phil. cand. Übersetzerin.
    Maria Winckler
    geb. 1950, gest. 1975. TWs Schwester.

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