Einsamen
sich.
Mama und Papa wollten herkommen, aber ich habe dankend abgelehnt. Habe erklärt, dass ich mit ein paar Freunden hinaus in Stockholms Schären wollte.
Im März in die Schären?, wunderte Mama sich, und ich sagte, dass die Freunde steinreich seien und das Haus winterfest. Damit gaben sie sich zufrieden, besonders Mama.
Tomas und Gunilla wollten bei sich ein Geburtstagsessen für mich ausrichten, aber ich fertigte sie mit derselben Lüge
ab.
Freunde?, muss Tomas gedacht haben. Hast du Freunde, kleine Spatzenschwester?
Doch er sagte nichts. Und er fragte auch nicht, wie die Freunde hießen oder um welche Insel es sich handelte.
Wenn ich sage, dass mein zwanzigster Geburtstag in aller Stille ablief, so entspricht das nicht ganz der Wahrheit. Ich habe den Abend und die Nacht mit Germund in dessen Wohnung in Tunabackar verbracht. Wir tranken Wodka und liebten uns. Er ist der beste Liebhaber, den ich je gehabt habe, und bevor wir einschliefen, erzählte ich ihm, dass wir soeben meinen zwanzigsten Geburtstag gefeiert hätten. Er nahm es genau so auf, wie ich es gemacht hätte. Sagte, dass es schön sei, dass ich vorher nichts gesagt hatte, weil das mit Geschenken nie so sein Ding gewesen sei.
Wir vögelten bestimmt vier Stunden lang, ich kann einfach nie genug kriegen von ihm, obwohl ich Orgasmen am laufenden Band habe. Vielleicht weil er nie so verflucht ekstatisch wird wie andere Typen.
Ekstatisch und weich. Das mag ich nicht. Germund bleibt cool. Er behauptet, das Einzige, was ihn interessiert, das seien reine Mathematik und physische Liebe.
Ich verstehe sehr gut, was er meint. Reine Mathematik und physische Liebe . All dieses Gefühlsgelaber, das zwischen diesen Polen hin und her schwappt, nein, das ekelt mich an. Das hat eine Klebrigkeit und eine Schlaffheit, die Übelkeit bei mir erzeugen. Ich verlange Präzision im Leben.
Germund und ich verkehren nur auf diese Art und Weise. Er ruft an, oder ich rufe an. Wir fragen jeweils, ob wir uns treffen können.
Er kommt zu mir, oder ich gehe zu ihm. Vorzugsweise letzteres. Mein Zimmer ist klein und hellhörig, und auch wenn ich meine Orgasmen lautlos gestalten kann, so ist mein Liebesleben nichts, was ich mit Familie Holmberg teilen möchte, der Familie, die den Rest des Hauses bewohnt. Obwohl Herr Holmberg, der Arne mit Vornamen heißt, das sicher als anregend empfinden würde. Er hat mir so manchen Blick zugeworfen, und Frau Holmberg, von der ich nicht einmal den Vornamen kenne, scheint interessierter an ihrem Webstuhl zu sein, der in der Garage steht, als an ihrem Mann. Als Germund und ich das erste Mal in meinem engen Bett gevögelt haben, erreichten wir schließlich den gleichen Takt wie ihr Klopfen, oder aber sie webte im Takt mit uns, das kann ich nicht sagen. Wir beide, Germund und ich, empfanden das irgendwie als eine sehr anregende Zutat.
Aber meistens sind wir also in der Sköldungagatan in Germunds Zweizimmerwohnung. Wir trinken ein wenig Wodka, manchmal essen wir etwas dazu, Kekse oder Gurke oder Käsebrote, aber nie viel, denn mit zu viel Essen im Magen liebt sich’s schlecht. Anschließend lieben wir uns. Wenn ich von Wodka spreche, dann meine ich entweder Wodka pur oder mit ein wenig Lime. Manchmal trinkt Germund ihn auch mit Orangensaft – ich jedoch nie.
Morgens frühstücken wir nicht zusammen. Wir duschen nur und verabschieden uns dann. Seit wir uns kennengelernt haben, waren wir zehn oder elf Abende zusammen, sind aber nicht einmal ins Kino gegangen oder haben eine Tasse Kaffee in der Stadt getrunken. Wozu soll das gut sein, irgendwo herumzusitzen und Kaffee zu trinken?, meint Germund. Wenn du diese Art von Vergnügung suchst, dann findest du sicher andere interessierte Jungs.
Verdammt, ich habe ja wohl noch nie vorgeschlagen, in der Stadt einen Kaffee mit dir zu trinken, entgegne ich.
Schon in Ordnung, sagt Germund. Sorry.
Doch eines Nachts schrie er.
Ich wachte auf, er jedoch nicht. Es war halb fünf, er muss einen Albtraum gehabt haben, war in Schweiß gebadet. Als ich ihn am Morgen fragte, sagte er, dass es schon so sein könnte, es kam vor, dass er von seinen Eltern und seiner kleinen Schwester träumte.
Die sind alle drei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Germund war zehn Jahre alt, als er seine ganze Familie innerhalb von Sekunden verlor. Nein, stimmt nicht, etwas länger muss es gedauert haben, denn sie sind in einen Fluss gefahren und ertrunken. Wir haben nie darüber gesprochen, genau wie wir nicht über unsere
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