Einsamen
werden.
Auch du, meine Spatzenschwester?, fragte er und versuchte wie Astrid Lindgren zu klingen.
Ganz besonders ich, antwortete ich, konnte aber sehen, dass er mit dem Kommentar nicht zufrieden war. Ich störe ihn, wogegen ich absolut nichts habe. Ganz im Gegenteil. Und ich glaube sogar, dass Gunilla ein bisschen Angst vor mir hat. Was mich aber auch nicht interessiert.
Auf jeden Fall ist geplant, dass das Kind im Herbst auf die Erde plumpsen soll. Bis dahin kann noch viel schiefgehen.
12
E s war bereits halb zehn Uhr abends, als Barbarotti endlich Gelegenheit fand, sich Sandlins Ordner in Ruhe anzuse-
hen.
Als er auf dem Weg nach Hause im Auto saß, rief Marianne an und berichtete, dass sie im Krankenhaus bleiben und die Abendschicht übernehmen müsse. Eine ihrer Kolleginnen war krank geworden, und nicht weniger als sechs Frauen standen Schlange, um ein Kind zu gebären.
Da konnte man nichts machen, und er wäre ja wohl der Letzte, der gebärenden Frauen Hindernisse in den Weg legen würde, oder? Schwedens Jugend, seine Zukunft, wie gesagt. Gemeinsam mit Jenny und Martin kochte er das Essen, zusammen mit Johan gelang es ihm, den unrund laufenden Wäschetrockner zu reparieren – zumindest vorläufig –, und dann war er noch eine gute Stunde damit beschäftigt, Lars über die Französische Revolution abzuhören. Es war ein beruhigendes Gefühl, dass man sich in der Schule immer noch mit der Französischen Revolution beschäftigte, und wenn er sich nicht irrte, offenbar auch noch in der gleichen Form wie in seiner Jugend, als er sich mit ihr abgemüht hatte.
Aber nach all diesen Tätigkeiten sagte er den Kindern gute Nacht. Erklärte ihnen, dass er für eine Weile Ruhe brauche,
um einen heiklen Bullenjob zu erledigen, schloss die Tür zu dem gemeinsamen Arbeitszimmer von ihm und Marianne im ersten Stock hinter sich und holte das Material von 1975 hervor.
Am Sonntagabend hatte er die Akten nur kurz überflogen – sie nicht durchgeackert, wie Backman es sich möglicherweise gedacht hatte. Hatte unsystematisch darin herumgeblättert, während er zusammen mit Teilen der Familie einen alten englischen Spionagefilm mit Michael Caine im Fernsehen geguckt hatte. In Anbetracht dessen, was im Laufe des heutigen Tages bekannt geworden war, schien es höchste Zeit zu sein, sich dieser Aufgabe mit etwas mehr Ernst zu widmen.
Allerhöchste Zeit. Schließlich waren bereits zwei Tage vergangen, vermutlich sogar mehr, seit Germund Grooth sein Leben draußen in der Gänseschlucht verloren hatte, und genau wie er es der Inspektorin Backman erklärt hatte, so konnte Barbarotti nur schwer glauben, dass es sich um einen Unfall gehandelt haben sollte. Um bei der Wahrheit zu bleiben, so tippte er auch nicht auf Selbstmord, auch wenn er diese intuitive Einschätzung momentan noch nicht begründen
konnte.
Aber vielleicht ließ sich in dem, was vor fünfunddreißig Jahren passiert war, ja ein Hinweis finden, also in dem jähen Tod der jungen, allen Informationen nach hübschen Maria Winckler am alten Todesfelsen.
Zu der Zeit war sie jedenfalls die Lebensgefährtin von Germund Grooth gewesen. Und dass das eine mit dem anderen zusammenhing – der alte mit dem neuen Fall –, das schien unbestreitbar zu sein. Die Frage war nur, wie.
Nur?, dachte Barbarotti. Was zum Teufel meine ich mit nur ?
Auf jeden Fall erwartete Asunander am nächsten Tag einen Bericht, und den sollte er kriegen.
Sandlin war ein gewissenhafter Kerl gewesen, das musste man ihm lassen, aber das hatte Barbarotti schon vorher gewusst. Die Ordner waren grün und hatten ein Inhaltsverzeichnis, in dem nicht weniger als sechzehn protokollierte Vernehmungen aufgelistet waren (von den sechs überlebenden Teilnehmern der schicksalsschweren Pilzsuche plus von zehn anderen, für Barbarotti bis jetzt unbekannten Personen), der Obduktionsbericht, der Bericht der Spurensicherung vom Tatort sowie so einiges anderes. Beispielsweise Sandlins eigene vorläufige Kommentare zu dem Fall. Davon gab es acht an der Zahl, der erste datiert auf den 29. September 1975 (der Tag nach dem Todesfall), der letzte auf den 22. Dezember desselben
Jahres.
Zwei Tage vor Weihnachten, dachte Barbarotti. Er hat sich drei Monate lang damit beschäftigt.
Bevor er aufgab und feststellte, dass es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um einen Unfall gehandelt haben musste. Oder dass es ihm zumindest nicht gelungen war, etwas anderes zu beweisen.
Aber er muss seine Verdachtsmomente gehabt haben, das
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